Judith Hermann: Keine Autorin wird mit ihrer Generation so verbunden wie sie.

Foto: S.-Fischer-Verlag

Judith Hermann, "Lettipark". EURO 19,60 / 186 Seiten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2016"

cover: s. fischer-verlag

Wäre alles wie immer, würde dieses neue Buch von Judith Hermann erst in zwei, drei Jahren erscheinen. Die Berliner Autorin, die 1998 mit ihrem ersten Kurzgeschichtenband Sommerhaus, später schlagartig bekannt wurde, hat ihre Bücher bislang immer in einem verlässlichen Fünfjahresrhythmus herausgebracht. Das hat gut zu Hermann gepasst. Auf ihren neuen Kurzgeschichtenband hat die Hermann'sche Leserschaft also gar nicht richtig warten müssen, weil das Erscheinen ihres ersten Romans Aller Liebe Anfang, der von der Literaturkritik eher verhalten aufgenommen wurde, erst zwei Jahre zurückliegt.

Mit Lettipark ist die mittlerweile 45-jährige Judith Hermann wieder ganz zu ihren Anfängen zurückgekehrt. 17 kurze Kurzgeschichten auf kompakten 186 Seiten, in denen sich die einzelnen Erzählungen gar nicht sehr voneinander abgrenzen. Wer die manchmal merkwürdigen, oft melancholisch-diffusen, sprachlich aber stets präzise beschriebenen Settings von Judith Hermann mag, für den verschwimmt die Lektüre zu einer einzigen großen Erzählung. Über Väter, die alt werden und ohnehin nie da waren, Mütter, die über Fragen hinweggehen oder allein erziehen, wie Tess. Über prekäre Lebensverhältnisse und brüchige Beziehungen – und am allermeisten über Freunde von früher. Noch mehr: Freundinnen.

Begegnungen

Es geht immer um Begegnungen und oft auch Wiederbegegnungen mit Menschen, die es schon längst nicht mehr gibt oder erst vor kurzem wieder aufgetaucht sind. Und so ist es wenig überraschend, dass die erste Frage, die Judith Hermann in einem kürzlich geführten Interview in der FAZ gestellt bekommt, jene nach den Figuren ihres neuen Bandes ist. Könnten die nicht zumindest die Freunde jener aus Sommerhaus, später sein?

Vielleicht gibt es keine Autorin in der deutschsprachigen Literatur, die seit ihrem Debüt so nahtlos mit ihrer Generation verbunden wird und ist wie Hermann – in Bezug auf Themensetzung, damit einhergehender Kritik und auch Leserschaft. Man würde als jemand, der gleich alt wie Hermann ist und sie seit fast 20 Jahren liest, ihre Bücher trotzdem nicht den eignen Eltern schenken.

Im aktuellen Kurzgeschichten-Set sind ihre Figuren wieder einmal mit Hermann mitgewachsen. Sie sind, wie sie, Mitte vierzig und haben schon mindestens ein Leben hinter sich. "Ich sehne mich danach, anzukommen, sagt Deborah." Sie ist über vierzig und wünscht sich ein Kind. Die komisch aus dem Leben gekippten Mittzwanziger von damals in Sommerhaus, später haben also eine lange Schleife gedreht, sind aber immer noch nirgendwo angekommen: "Wir hatten alles vor uns", schreibt Hermann, "Packen von Kisten, betrunkene Geständnisse, wir waren am Anfang von alldem." Sicher ist das trist, viel bleibt ausgesprochen in Schwebe, ist "einerlei", "gelingt halbwegs" oder verharrt im Konjunktiv. Aber diese Leerstellen, die der Berliner Schriftstellerin oft schon vorgeworfen wurden, erfüllen ihren Zweck, können das undramatisch Tragische innerhalb einer Existenz schon ganz gut fassen.

Das undramatisch Tragische

"Es ging um all das, und darunter ging es sicher noch um etwas ganz anderes." Manches wiederum müsste Hermann gar nicht aufschreiben, ihre Geschichten machen das ohnehin klar. Diese ihre Sätze, die mehr bedeuten als das, was sie besagen: "Es war schon zu kalt gewesen, um ins Wasser zu gehen."

Es ist stimmig und konsequent, dass der neue Erzählband von Judith Hermann Lettipark heißt. In dieser kurzen Geschichte geht es um Freunde von früher, um eine Supermarktkassa, an der man zu spät bemerkt, wer da vor einem in der Schlange steht. Was hat uns einmal verbunden? Woran erinnert uns jemand? An diesen Lettipark zum Beispiel. "In Page Shakuskys Buch für Elena war der Park schwarz und weiß und menschenleer gewesen. Ein Zwischenreich. Eine schwebende, sphärische Welt." Wie die Bücher von Judith Hermann. Doch alles wie immer. (Mia Eidlhuber, Album, 28.5.2016)