John Carpenter bei seinem Besuch in Wien bei der Viennale 1991: Für das "Carpenter-Project" wird sein Besuch diesen Herbst wieder erwartet.

Foto: Robert Newald

Wien – Die spannendste Zukunft kann jene sein, die man noch erleben wird. Was für die Sciencefiction bedeutet, dass für irgendwann prophezeite Weltuntergänge arglos hingenommen, ein demnächst zu erwartendes Schreckensszenario aber für erhebliche Beunruhigung sorgen kann.

Als John Carpenter seine düstere Zukunftsvision Escape from New York 1981 ins Kino brachte, siedelte er das Geschehen keine zwanzig Jahre später an: Im Sommer 1997 ist Manhattan mit meterhohen Schutzwällen umzäunt, ein Gefängnis für drei Millionen Kriminelle. Die Geschichte rund um den in diesen Moloch abgestürzten Präsidenten, den nur der Söldner Snake Plissken (Kurt Russell) befreien kann, diente Carpenter vor allem dazu, gegenwärtige Ängste in eine nahe Zukunft zu projizieren – und aus jener Stadt, die wie keine andere ein Symbol des fortschrittsgläubigen Amerika war, eine unkontrollierbare Zone der Gewalt zu machen.

Das Denkbare vergegenwärtigen

Die Genrefilme Carpenters, der 1974 mit der Sciencefiction-Komödie Dark Star sein Regiedebüt gab, schöpfen ihr Potenzial aus dieser Vergegenwärtigung des Denkbaren. Der Horror in Halloween (1978) ist kein von Monstern oder unheimlichen Wesen ausgehender, sondern einer der realen Ängste, die der Möder hinter seiner Maske mit jedem hörbaren Atemzug verbreitet. Und die in einer abgelegenen Polizeistation in Los Angeles vom jugendlichen Mob eingeschlossenen Polizisten in Assault on Precinct 13 (1976) führen nicht weniger als ein Rückzugsgefecht einer Staatsgewalt, die sich von der Gesellschaft, die zu schützen sie befehligt ist, bereits abgewandt hat.

Seismographische Vermessung

Die Werkschau im Wiener Gartenbaukino bietet zum ersten Mal seit langer Zeit die Gelegenheit, Carpenters Arbeiten nicht nur als jenes Fankino wahrzunehmen, das ihnen seit Jahrzehnten anhaftet und sie vorzugsweise zunächst in die Videotheken und später in die persönliche Sekundärverwertung spülte – ein Zugang, den die mit dem marketingtechnischen Label "Kultregisseur" versehene Schau erneut einmal anbietet.

Aufschlussreicher ist es, Carpenters Arbeiten der 70er- und frühen 80er-Jahre – manche späteren Filme braucht man unter den dreizehn ausgewählten zum Glück nicht zu suchen – unter anderem Blickwinkel zu sehen: Gerade aufgrund ihrer billigen Produktionsweise vermessen sie beinahe seismografisch die politischen und gesellschaftlichen Verschiebungen ihrer Ära. Weshalb sie noch von Interesse sind, wenn die Zukunft in ihnen bereits Vergangenheit geworden ist. (Michael Pekler, 27.5.2016)