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Die Gretchenfrage der Schweizer Grundeinkommensverfechter auf einem Riesenplakat in Genf.

Foto: AP / Magali Girardin

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle – über diese Utopie stimmen die Schweizer Stimmbürger am 5. Juni ab. Zwar hat die Initiative keine Chance, doch allein die Diskussion darüber weckt großes Interesse.

"Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?" Diese grundlegende Frage werfen die Initiatoren des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) auf, mediengerecht inszeniert auf einem Plakat in der Weltrekordgröße von 8000 Quadratmetern, das sie vorige Woche in Genf entrollten. Und auch eine andere Aktion sorgte für Aufsehen: Per Los erkoren sie eine Person, der sie nun ein Grundeinkommen zahlen: 2500 Franken pro Monat, ein ganzes Jahr lang. Die glückliche Gewinnerin will mit dem Geld (umgerechnet 2256 Euro im Monat) eine berufsbegleitende Weiterbildung finanzieren.

Eine Idee, die spaltet

"Das Nachdenken über ein bedingungsloses Grundeinkommen verändert bereits die Gesellschaft", sagt Daniel Häni, einer der Initiatoren. Denn die Gesellschaft müsse sich damit auseinandersetzen, dass es in Zukunft nicht mehr genug Arbeitsplätze für alle geben wird: Die digitale Revolution werde dazu führen, dass intelligente Roboter den Menschen immer mehr Aufgaben abnehmen. Unser Wohlstand könne mit immer weniger menschlicher Erwerbsarbeit sichergestellt werden, gleichzeitig nehme der Bedarf nach (unbezahlter) Pflege- und Betreuungsarbeit zu, so die Ausgangsthese. Einen Ausweg aus dieser Sackgasse könne eben das BGE für alle bieten.

Die Idee spaltet Fortschrittliche und Konservative, Linke und Liberale. Bei kontroversen Veranstaltungen referierten hochkarätige internationale Gäste, viele Prominente nahmen Stellung. Sahra Wagenknecht etwa, die Fraktionsvorsitzende der deutschen Linkspartei, sagte: "Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, das ist nicht die Lösung. Ziel muss sein, dass jeder Mensch sich so qualifiziert, dass er mit eigener Arbeit sein Einkommen sichern kann. Es gibt ein Recht auf Arbeit."

Nichtstun nicht zu erwarten

Yanis Varoufakis dagegen, griechischer Exfinanzminister und eine Galionsfigur der europäischen Linken, meinte in Zürich, "das sozialdemokratische New-Deal-Paradigma, das die westlichen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts geprägt hat, ist so gut wie tot. Deshalb ist ein Grundeinkommen eine Notwendigkeit. Ob wir es wollen oder nicht, ist unerheblich."

Und der frühere US-Arbeitsminister Robert Reich ergänzte: "Wenn die Menschen ein minimales Grundeinkommen haben, werden sie nicht einfach herumsitzen und nichts tun. Die meisten Menschen wollen etwas tun. Und sie werden das tun, was sie wirklich tun wollen." Kinder großziehen oder Kunstwerke schaffen, Alte pflegen oder Freiwilligenarbeit im Sportverein – langweilig müsse es niemandem werden.

"Ein Sozialsystem, das nicht auf die individuellen Bedürfnisse angepasst ist, verliert an Akzeptanz", kritisierte anderseits die St. Gal- ler Ökonomie-Professorin Monika Bütler. Es müssten vielmehr Anreize geschaffen werden, zu arbeiten und sich weiterzubilden, anstatt die Menschen daran zu gewöhnen, von staatlichen Leistungen zu leben. "Wir müssen jene unterstützen, die es nötig haben."

Gute Idee, falscher Ort

Der Schweizer Thomas Straubhaar, der liberale Vorsitzende des Hamburger Weltwirtschafts-Instituts, äußerte sich differenzierter: Er lehne das Volksbegehren zwar ab, weil die Schweiz der falsche Ort für ein solches Experiment sei, da hier die Arbeitslosigkeit tief und der Sozialstaat gut ausgebaut seien. Aber: "Ich habe die Idee des Grundeinkommens schon lange unterstützt, denn sie steht in Einklang mit den drei Megatrends des 21. Jahrhunderts: Globalisierung, Individualisierung und Digitalisierung. Internetplattformen, Roboter und selbstgesteuerte Maschinen werden viele Routinearbeiten ersetzen."

In der Schweiz kursiert der Witz, sogar der Crédit-Suisse-Chef Tidjane Thiam sei für das bedingungslose Grundeinkommen. Weshalb? Weil er selbst eines beziehe! Einen zweistelligen Millionenbetrag nämlich, und dies, obwohl die Bank 2015 drei Milliarden Franken Verlust einfuhr.

Kein Zusatzeinkommen

Fürstliche Einkommen ohne entsprechende Gegenleistung, das schwebt den Initiatoren des BGE natürlich nicht vor. Sie schlagen vor, dass der Staat jedem Erwachsenen monatlich 2500 Franken auszahlt – eine Summe, die knapp zum Leben reicht. "Das Grundeinkommen ist kein zusätzliches Einkommen", heißt es im Argumentarium.

"Die Wirtschaft bezahlt eine Abgabe in die Grundeinkommenskasse und profitiert dafür von tieferen Lohnkosten: ein Nullsummenspiel, weil der bestehende Lohn beim Einzelnen teilweise durch das Grundeinkommen ersetzt wird. Zudem übernimmt das Grundeinkommen den Großteil der Sozialleistungen und Subventionen."

Parlament ist dagegen

Bundesrat und Parlament lehnen den Vorstoß ab: "Es bestände das Risiko, dass weniger Personen einer Erwerbsarbeit nachgehen", heißt es in der offiziellen Stellungnahme des Bundesrats an die Stimmberechtigten. "Dies würde den Mangel an Arbeits- und Fachkräften in der Schweiz weiter verschärfen. Zur Finanzierung des Grundeinkommens wären außerdem erhebliche Einsparungen oder Steuererhöhungen nötig. Überdies könnte das Grundeinkommen das heutige System der sozialen Sicherheit nicht völlig ersetzen." Der Bundesrat rechnet mit einer Finanzierungslücke von 25 Milliarden Franken jährlich.

Dass der Vorschlag akzeptiert wird, erwartet in der Schweiz niemand; alle Parteien außer den Grünen sind dagegen, auch die Wirtschaftsverbände und die großen Gewerkschaften. Die neuesten Umfragen sagen einen Nein-Stimmen-Anteil von 61 bis 71 Prozent voraus. Doch die Diskussion über die Zukunft und den Wert der Arbeit ist lanciert, und sie wird weitergehen müssen. (Klaus Bonanomi aus Bern, 27.5.2016)