Gespannte Stimmung in der City of London vor dem Brexit-Referendum am 23. Juni.

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London – Für den Ausgang des Referendums über den Verbleib Großbritanniens in der EU gibt es weiter keine klare Prognose. Sowohl die Gegner als auch die Befürworter eines Brexit kommen derzeit laut einer am Mittwoch veröffentlichten Yougov-Umfrage für die "Times" auf 41 Prozent. Im Vergleich zur Vorwoche bedeutet das einen Verlust von drei Prozentpunkten für die Gegner und einen Zuwachs von einem Punkt für die Befürworter. Die Briten stimmen am 23. Juni ab.

Auch viele andere Umfragen der vergangenen Wochen haben auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hingedeutet. In den vergangenen zehn Tagen hatten wiederholt aber die Gegner eines Austritts die Nase leicht vorne gehabt.

Premier für Verbleib

Premierminister David Cameron macht sich seit Monaten für den Verbleib des Landes in der Europäischen Union stark. Nach seiner Einschätzung würde ein Ausstieg das Wirtschaftswachstum des Landes beeinträchtigen und zu steigender Arbeitslosigkeit führen. Führende europäische Politiker wie Ökonomen warnen allgemein vor den Auswirkungen eines Austritts.

Die Welthandelsorganisation (WTO) sagt Großbritannien zum Beispiel hohe Zollkosten im Falle eines EU-Austritts voraus. Die Einfuhrzölle beliefen sich auf jährlich neun Milliarden Pfund (11,8 Milliarden Euro), sagte WTO-Chef Roberto Azevedo in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit der "Financial Times". Hinzu kämen 5,5 Milliarden Pfund an Exportzöllen auf Überseemärkten.

Großbritannien verliere bei einem Brexit den Zugang zu 58 Ländern, mit denen die EU entweder den Wegfall von Zöllen oder sehr niedrige Kosten vereinbart habe. Die Handelsbeziehungen müssten komplett neu aufgestellt werden. "Es ist extrem schwierig und komplex, diese Abkommen zu verhandeln", sagte Azevedo. "Und es ist sehr langwierig."

Britische Botschafterin hofft auf Verbleib

Vor den komplexen Herausforderungen bei der Neuaufstellung in den internationalen Beziehungen warnt auch Susan le Jeune d'Allegeershecque, britische Botschafterin in Wien. Die Entscheidung für die Abhaltung eines Referendums hält sie für "richtig, aber riskant". Man habe die Stimmung und die Ressentiments in der Bevölkerung nicht ignorieren können, ein Ausstieg aus der EU würde aber unvorhersehbare Folgen für Großbritannien haben: "Wir sind stärker innerhalb der EU."

Die Botschafterin hofft, dass die Briten "eher pragmatisch als emotional" entscheiden werden, und verweist auf das Unabhängigkeitsreferendum in Schottland vom vergangenen Herbst: Zum Schluss hätten dabei die wirtschaftlichen Argumente den Ausschlag dafür gegeben, bei Großbritannien zu bleiben.

Ein dominantes Thema der Brexit-Befürworter ist die Einwanderung von EU-Bürgern, die das Sozial- und Gesundheitssystem belastet. Die Befürworter versprechen den Briten nicht zuletzt hier eine neue Selbstbestimmung. Großbritannien könnte EU-Gesetze abschaffen und endlich die Einwanderung stoppen.

Zweijährige Übergangsphase

Wenn sich die Briten am 23. Juni für einen Austritt aus der EU entscheiden, passiert zunächst allerdings nichts. Im Fall der Fälle bleibt Großbritannien wohl zwei weitere Jahre EU-Mitglied. So sieht es Artikel 50 des EU-Vertrags vor. Innerhalb dieser beiden Jahre würde das Land die Bedingungen des Ausstiegs aushandeln. (mhe, APA, 25.5.2016)