Marta Karlweis entwirft eine unheile Welt von Gestern


Foto: Literaturmuseum Altaussee

Am gründlichsten vergessen werden in der Literaturgeschichte jene Frauen, deren Werke der Nationalsozialismus zunichtemachte. So ein eklatanter Fall ist auch Marta Karlweis (1889-1965) und ihr böse funkelnder Roman Ein österreichischer Don Juan aus dem Jahr 1929, den nun der Germanist Johann Sonnleitner sachkundig neu herausgegeben hat. Erzählt wird darin scharfsinnig und spitzzüngig ein Reigen der Lieblosigkeiten vor dem Hintergrund der letzten Jahrzehnte der Habsburgermonarchie. Dieser Abgesang auf die gar nicht so gute alte Zeit erinnert ein wenig an Joseph Roth, mehr aber noch an den gegen Nostalgie resistenteren Ödön von Horváth. Kunstvoll verwoben hat die Autorin in diesem Sittenbild jede Menge bitterböse Geschichten aus der Wienerstadt.

Der Roman beginnt 1889, als aus Mayerling die Nachricht vom Mord und Selbstmord des Kronprinzen "in dicken Wolken über die Stadt Wien quoll". Erschüttert ist auch der junge Erwein von Raidt, wohlhabender Liebling der Frauen, ein opportunistischer Feschak mit dem Talent für "reizvolle Bösartigkeit in der Konversation". Seine Geliebte ist zunächst die wesentlich ältere verwitwete Hofrätin Löwenstein, die aus niedrigen Verhältnissen kommt, aber die hohe Kunst der Intrige bestens beherrscht. Dann hofiert und schwängert Erwein deren 21-jährige Tochter Cecile; eine Heirat kommt nicht infrage, Gott bewahre, denn das "Judenmädel" ist ohne Mitgift. Das Kind wird heimlich auf dem Land geboren und weggegeben, dann verkuppelt der Verführer seinen Freund Gustav mit der tristen jungen Frau, die noch zwei Töchter bekommt, eine schwieriger als die andere.

Diese Unglücksgeschichte ist nur eine von vielen, in der auch die Erzählerin selbst vorkommt, die (fast) genauso heißt, "Martha Karlweis", wie die Autorin. Als Kind hatte sie mit den verzogenen Töchtern von Cecile gespielt und deren verwinkelte Welt kennengelernt. Auf diese Weise wird der Roman nebenbei auch zu einem Vexierspiel mit dem Wiener Ambiente von Marta Karlweis: Aus einer bildungsbürgerlichen Familie stammend, kannte sie dort von klein auf so manche Geistesgröße.

Ihr zweiter Ehemann war der Erfolgsschriftsteller Jakob Wassermann; später im Exil verkehrte sie mit Thomas Mann und C. G. Jung, wurde Psychoanalytikerin in Kanada. Trotz dieser Kontakte gelang es ihr nicht, nach dem Krieg wieder als Autorin gebührend wahrgenommen zu werden.

Ihr Romanheld hatte jedenfalls mehr Glück als sie, denn für Erwein von Raidt, diesen österreichischen Don Juan, vergehen die Jahre im Saus auf luxuriösen Reisen und im Braus von reichlichen Liebschaften, der Erste Weltkrieg berührt ihn kaum, die Inflation macht ihn zum Gewinnler. Erst im vorgerückten Alter sorgt "die Autorin dieser Lebensbeschreibung" für seine gerechte Bestrafung. Er lebt inzwischen in seinem Landhaus, umgeben von "lausigen Gesellen beiderlei Geschlechts", da taucht die sehr viel jüngere deutsche Schauspielerin Pette auf, die ihn und den "Müllhaufen deiner verdammten Monarchie" verhöhnt. Aber er ist zuletzt "ein kindischer Weiberknecht geworden", ist hoffnungslos in sie verliebt.

Der Roman von Marta Karlweis ist aber noch viel komplexer und raffinierter. Denn neben diesen Hauptunglückssträngen gibt es noch eine Parallelgeschichte, in der ein weiterer Lebens- und Liebesschiffbruch erzählt wird: Erweins bester Freund, fast eine Joseph-Roth-Figur, ein Bezirkshauptmann mit künstlerischen Ambitionen, dieser Ferdinand von Sillian schreibt nicht nur gefühlsbemühte Prosa. Er ist auch mit der "gräßlich gesunden" Matrone Adelheid verheiratet und hat drei Kinder, liebt jedoch die junge Lehrerin Marie, fantasiert von einer Liebesflucht nach China, verdämmert und stirbt aber langsam in seinem Unglück.

Auch in diese Geschichte greift Erwein intrigierend ein, will den Freund von der Liebe zu Marie abbringen, denn er "mochte Frauen nicht, die nicht er für seine Freunde ausgesucht hatte".

Affäre mit Bezirkshauptmann

Hier führt die Autorin in ihrer chronologisch sprunghaften Erzählung die Stränge wieder zusammen, denn Maria verliert wegen ihrer Affäre mit dem Bezirkshauptmann die Stelle an der Schule und wird Hauslehrerin bei den verhätschelten Töchtern von Cecile, mit der sie sich anfreundet. Diese beiden gleichaltrigen Frauen sind das geheime Doppelherz des Romans: die in ihrem Käfig der Konventionen zugrunde gehende Bürgerfrau und die um ihre Liebe betrogene Lehrerin, die positivste Figur in diesem Unglücksreigen aus der Belle Époque.

Von plattem Feminismus kann aber keineswegs die Rede sein, denn die meisten Frauenfiguren sind von der Autorin reichlich mit Bosheit ausgestattet, allen voran Ceciles Mutter, die Hofrätin, die zusammen mit ihrer verhärmten und verarmten Schwester Melanie ein tückisches Duo bildet. Die Hofrätin lebt lange in der Familienhölle mit ihrer Tochter und dem Schwiegersohn, der sie mit "hasserfüllter Nachgiebigkeit" in seinem Haus duldet, aber jahrelang quält mit französischen Tischgesprächen, die die Frau aus einfachen Verhältnissen nicht verstehen kann. Wie nebenbei streut Marta Karlweis viele solche beißende Bilder in ihren Roman ein und evoziert damit gekonnt die unheile Welt von Gestern. (Franz Haas, 24.5.2016)