Täglich kommen nun die Meldungen von Großanschlägen des "Islamischen Staats" (IS) im Nahen Osten: am Montag an so weit entfernten Orten wie der syrischen Küste und der jemenitischen Hafenstadt Aden. Hunderte Menschen wurden zuletzt im Irak bei Selbstmordattentaten getötet. Dort hat der IS Territorium verloren, aber er führt grausig-eindrucksvoll vor, wo überall er als Terrororganisation gleichzeitig zuschlagen kann.

Auch in Europa: Die IS-Führung ruft ihre Anhänger auf, während des Fastenmonats Ramadan im Westen Attentate zu verüben. Stutzig macht die Aufforderung an die potenziellen Jihadisten, nicht mehr in den Nahen Osten zu kommen, sondern zu Hause zu "kämpfen". Geheimdienste haben das zuletzt eher so dargestellt, dass der Strom der entgleisten westlichen Jugendlichen zum IS abnimmt – und dass dem IS deshalb die Kämpfer ausgehen.

Wenn der IS-Aufruf kein Propagandatrick ist, der ungebrochene Stärke vermitteln soll, dann könnte das heißen, dass der IS – wieder einmal – eine strukturelle Änderung durchmacht. Vielleicht hat sich aus Sicht der IS-Führung das jihadistische Multikulti aus aller Herren Länder, das das utopische Kalifat in Syrien und im Irak bevölkern sollte, nicht bewährt. Vielleicht ist es die Einsicht, dass, wer Land hält, dort auch angegriffen werden kann. Jedenfalls sollte man, wenn der IS im Nahen Osten schwindet, besser nicht glauben, dass es ihn nicht mehr gibt. (Gudrun Harrer, 23.5.2016)