Möchte "der Linie treu bleiben": Iris Laufenberg, seit 2015 Chefin des Schauspielhaus Graz.


Foto: J. J. Kucek

STANDARD: Sie haben das verflixte erste Intendantenjahr bald hinter sich. Welche Schlüsse ziehen Sie für die kommende Spielzeit?

Laufenberg: Der Linie treu bleiben. Auch wenn es am Anfang mit unbekannteren Stücken und vielleicht auch sperrigeren Stoffen nicht leicht war, so erhielten wir insgesamt doch viel Zuspruch. Es gäbe jetzt nichts, was mich veranlassen würde, den Kurs zu ändern.

STANDARD: Die Auslastung liegt bei knapp unter 70 Prozent, ein mit anderen Neuübernahmen vergleichbarer Wert. Warum ziehen sich Abonnenten bei einem Leitungswechsel eigentlich so vehement zurück?

Laufenberg: Ich vermute, dass der entscheidende Punkt der des Ensemblewechsels ist. Die Bindungen von Publikum zu Schauspielern sind sehr eng. Der Schauspieler Franz Solar zum Beispiel, der weiterhin im Ensemble ist, bekommt vom Publikum sogar Geburtstagsgeschenke. Aber das Eis ist inzwischen gebrochen.

STANDARD: Wie würden Sie denn die Bindung zwischen Publikum und Ensemble beschreiben? Fühlt sich gerade am Stadttheater, wo die Ensembles längerfristig fix sind, so ein Wechsel wie Verlassenwerden an?

Laufenberg: Es ist in erster Linie ein Vertrauensverlust. Können die Neuen das überhaupt? Wofür stehen sie? Wir arbeiten mit unterschiedlichen Regieteams, wodurch es nicht primär eine Handschrift gibt, sondern unterschiedliche ästhetische Ansätze. Das ist eine neue Generation von Regisseurinnen und Regisseuren, die sich wechselnder Mittel bedient, die jeweils ganz im Dienste einer Geschichte stehen.

STANDARD: Sie haben viele Regisseurinnen verpflichtet, mehr als anderswo in Österreich – mit Ausnahme vielleicht von Bettina Hering in Sankt Pölten. Ist es Ihr erklärtes Ziel, geschlechtlich ausgewogener zu besetzen?

Laufenberg: Ja, klar. Es gibt Phasen in der Spielplangestaltung, in denen ich plötzlich sehe: Was, wir haben keine Frauen?! Diese Frage polarisiert auch in der Dramaturgie, denn die Genderfrage kann man immer wieder neu diskutieren. Man könnte fragen: Ist es so wichtig, dass es Frauen sind? Ja, es ist sehr wichtig. Denn Frauen bringen eine andere Perspektive ein. Das war schon so, als ich Leiterin des Berliner Theatertreffens war. Da musste erst Marlene Streeruwitz in die Auswahljury des Stückemarktes kommen, damit wir die Wettbewerbskandidaten anonymisierten. Sie meinte, man lese den Text anders, wenn man vorher weiß, es ist ein Mann / eine Frau. Sie hatte recht.

STANDARD: Viele sagen, es sei so schwer, Regisseurinnen zu finden. Fällt es Ihnen schwer?

Laufenberg: Nein, es ist total leicht. Es ist sogar so, dass es sehr viele Studienabgängerinnen gibt. Nur danach im Berufsleben wird es für sie schwieriger, Fuß zu fassen. Wenn man in diesem Bereich fördert, hat man nachher mehr Frauen in Leitungspositionen.

STANDARD: Viel Arbeit und wenig Geld bedeutet: Frauen müssen ran. Ist das noch so?

Laufenberg: Schon. Die Berufsbilder ändern sich aber auch mit den Anforderungen. Ein Chefdramaturg war früher mal heilig. Es war der Mann, der in die Bibliothek geht. Heute ist das aber ein knallharter Organisationsjob mit viel Vermittlungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Stücke liest man fast nebenbei.

STANDARD: Das Theater wurde gerade im letzten Jahr zur Stätte der Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsnot. Spielpläne ändern sich, Akteure ändern sich. Matthias Lilienthal meinte: Lieber gute Sozialarbeit als schlechte Kunst. Michael Thalheimer widersprach heftig und verteidigte die Kunstproduktion. Wie sehen Sie das?

Laufenberg: Das ist eine umfassende Frage. Ich verstehe die Position von Thalheimer sehr gut, der als Regisseur spricht und für seine Arbeit einsteht. Aber als Intendantin finde ich es auch sehr wichtig, uns mit der sich unmittelbar verändernden Gesellschaft zu konfrontieren. Am Schauspielhaus Graz machen wir das zum Beispiel bei einem Workshop mit dem syrischen Autor Mudar Alhaggi. Wir bringen in Erfahrung, wie geflüchtete jugendliche Syrer und Afghanen hierhergekommen, wie sie hier aufgenommen worden sind, wie sie hier leben. Das ist eigentlich zu einem gewissen Teil Sozialarbeit, aber sie hat mit Theater zu tun. Denn schon das Schreiben eines Stücks verschafft eine Distanz zur Realität.

STANDARD: Flüchtlinge auf die Bühne?

Laufenberg: Nein, das ist nicht Sinn der Sache. Geflüchtete Menschen können uns aber Input geben für unsere Arbeit an der sich verändernden Gesellschaft in Europa. Damit beschäftigen wir uns natürlich weiter.

STANDARD: Zum Beispiel mit dem Stück "Die Neigung des Peter Rosegger" von Thomas Arzt, das die nächste Spielzeit eröffnen wird. Hieß der Auftrag an den Autor, ein Stück über Europa zu schreiben?

Laufenberg: Es war so: Wir hatten schon zur heurigen Eröffnung das Motto "Grenzgänge", für das Arzt einen Beitrag schrieb. Er war dann in Graz zu Gast, und er kam zu einer Zeit mit dem Zug angereist, als in Wien die Flüchtlinge zu Tausenden am Westbahnhof strandeten. Bewegt von dieser Situation und dem Gefühl, dass die Stimmung in der Gesellschaft kippt, kamen wir in ein Gespräch über dieses Auftragswerk: eine Tragikomödie zur Situation der Stunde.

STANDARD: Sie veranstalten Anfang Juni ein Dramatiker*innenfestival, bei dem ein Themenpunkt europäisches versus außereuropäisches Theater sein wird. Wie würden Sie diese Oppositionen beschreiben?

Laufenberg: Der Ausgangspunkt war, dass ich mit Verlagen gesprochen habe. Was ich meine: Deutschsprachige Dramatik funktioniert in Österreich, der Schweiz, in Deutschland. Zu einem Autor aus Ägypten, den keiner kennt, kommt aber niemand. Das widerspiegeln auch die Verlage. Dieses Verhältnis platzt gerade auf. Man muss neu ordnen und sich neu orientieren. Es mag zunächst überfordernd sein. Zudem haben manche Autoren in ihren Herkunftsländern nicht so ein Forum. Die Texte von Mudar Alhaggi müssen wir auch erst in ihrem Kontext verstehen lernen. Die Entwicklung und Öffnung erachte ich aber als riesiges Potenzial. (Margarete Affenzeller, 23.5.2016)