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Angela Merkel traf beim UN-Gipfel zur humanitären Hilfe in Istanbul den türkischen Staatschef Erdogan. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon (rechts) und der griechische Premier Alexis Tsipras waren im Foyer dabei.

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Alles ist ein Prozess, sagt die Naturwissenschafterin Angela Merkel. Alles ist beherrschbar, steuerbar, soll das heißen. Über die Ursachen gibt es Einvernehmen, über das Ziel auch. Dazwischen sitzt Tayyip Erdogan, der mächtige Mann vom Bosporus, und bringt den großen Deal zum Kippen, der die Flüchtlingskrise eindämmen soll. "Es ist ja nicht das erste Mal, dass etwas in der Umsetzung Mühe macht", stellt die deutsche Kanzlerin nach ihrem Treffen mit dem türkischen Staatschef in Istanbul fest.

Sie vergleicht bei der Gelegenheit das Flüchtlingsabkommen, das die EU im vergangenen März mit der Türkei schloss, mit dem Minsker Abkommen, das sie Wladimir Putin abrang – nur des Prozesses wegen.

Zankapfel Antiterrorgesetz

Eine Stunde dauerte das Gespräch, das Merkel am Montag am Rand des UN-Gipfels zur humanitären Hilfe in Istanbul mit Erdogan führte. Der Empfang sei freundlich gewesen, so hieß es. Doch danach sind alle Probleme weiter ungelöst. Erdogan lenkt nicht ein. Die weit gefasste Antiterrorgesetzgebung in der Türkei wird jetzt nicht geändert und dem EU-Standard angepasst, wie es im Forderungskatalog der Brüsseler Kommission zur Visaliberalisierung steht. Die Aufhebung der Visapflicht für die Türken ist an das Flüchtlingsabkommen gekoppelt. Die Rücknahme von Migranten aus Europa durch die türkischen Behörden wiederum Teil der Visaliberalisierung. Alles ein Prozess. "Wir können ja nicht einfach Menschen zurückschicken", sagt Angela Merkel. Die Rechtslage in der Türkei muss stimmen.

Und plötzlich scheint der Stichtag 1. Juli für das visafreie Reisen, das sich die Türken so wünschen, tatsächlich weg. Der Prozess läuft nun eben so schleppend, dass einige Bedingungen für die Aufhebung der Visapflicht dann "noch nicht erfüllt sein werden", formuliert die deutsche Kanzlerin im Futur.

"Grund tiefer Besorgnis"

Merkel war bereits am Sonntag in die türkische Wirtschaftsmetropole angereist und traf sich mit Vertretern der Zivilgesellschaft. Es gibt mehr Streit mit Erdogan, ihrem Verhandlungspartner, als nur über die Antiterrorgesetze der Türkei. Die Aufhebung der Immunität von einem Viertel der Parlamentarier im türkischen Parlament – am Freitag vergangener Woche per Verfassungsänderung beschlossen – sei ein "Grund tiefer Besorgnis", sagt Merkel. Die jüngsten Gefängnisstrafen gegen zwei renommierte türkische Journalisten und die Abschiebung ausländischer Korrespondenten aus dem Land kommen hinzu. "Die Fragen sind nicht vollständig geklärt, die ich dazu hatte", gibt die deutsche Kanzlerin nach dem Gespräch mit Erdogan zu.

Beim UN-Gipfel zur humanitären Hilfe, dem ersten seit Gründung der Vereinten Nationen 1945, wird der Gast aus Berlin gleichwohl bevorzugt behandelt. Erdogan lässt die Kanzlerin als Erste in der Runde der Staats- und Regierungschefs sprechen. Zehn Meter liegen zwischen Rednerpult und Präsidententisch auf der tiefblauen Bühne, doch politisch trennen Merkel und Erdogan mittlerweile Welten. Ganz so zufällig war der Vergleich des Flüchtlingsabkommens mit den Minsker Vereinbarungen und dem ähnlich autoritär regierenden russischen Präsidenten dann doch nicht, so scheint es.

Räumung von Idomeni steht bevor

Im benachbarten Griechenland schickt sich die linksgeführte Regierung derweil an, das Flüchtlingslager Idomeni an der Grenze zu Mazedonien tatsächlich zu räumen. Die noch 8400 Flüchtlinge sollen in besser ausgestattete offizielle Lager umsiedeln. Gewalt werde nicht gebraucht, versicherte ein Regierungsvertreter. (Markus Bernath aus Istanbul, 23.5.2016)