Wien – Herr Fischer ist nicht nur Fotograf, nebstbei ein Großer seines Fachs, Herr Fischer ist auch Taucher. Das trifft sich gut an diesem Abend im Amalienbad in Wien-Favoriten. Herr Fischer hat seine beiden Ausrüstungen mitgebracht, die spezielle Flasche, um Luft zu kriegen, und die spezielle Kamera, um Fotos zu schießen und Videos zu drehen. Er schnallt seine Flasche um, setzt die Maske auf, springt ins Wasser und nimmt Platz.

Das schöne Amalienbad in Wien-Favoriten ist eine von mehreren Trainingsstätten des UWRC Wien.
DER STANDARD

Das Training des UWRC Wien beginnt. UWRC steht für Unterwasserrugbyclub. Überraschender ist, wer da aller am Beckenrand steht. Männer, Frauen, größere, kleinere, muskulösere, beleibtere, ältere, jüngere. Die Männer haben zwei Badehosen, die Frauen zwei Badeanzüge übereinander an, die erste Hose und der erste Badeanzug sind weiß, die zweite Hose und der zweite Badeanzug sind blau. Sie tragen spezielle Badehauben, Schwimmkappen mit Ohrenschutz aus Hartplastik, wie sie auch im Wasserball verwendet werden. Sie tragen Masken mit Schnorcheln, und sie tragen Schwimmflossen.

Worum es geht

Sechs Weiße und sechs Blaue springen ins Wasser. Das ist der Sinn der zwei Farben – jeder weiß, wer gegen wen spielt. Und wenn eine Spielerin oder ein Spieler ins andere Team wechselt, muss sie oder er nicht in die Garderobe, sondern zieht einfach die zweite Schicht aus, auf dass die erste zum Vorschein kommt. Von draußen betrachtet, entwickelt sich eine Art Ballett. Ein permanentes Auf- und Untertauchen. An der Oberfläche wird kurz Luft geholt, der Schnorchel bleibt aber im Mund und der Kopf im Wasser. Es gilt, das Spielgeschehen zu verfolgen, an geeigneter Stelle wieder auf Tauchstation zu gehen. Man sieht Köpfe, man sieht Flossen. Man sieht ansonsten nicht viel.

Die Torfrau liegt auf dem Tor. Die Angreiferin versucht, die Torfrau von unten wegzudrücken, auf dass sich eine Lücke für den Ball auftut.
Christian Fischer

Herr Fischer müsste man sein. Unter Wasser geht es darum, den mit Salzwasser gefüllten, also sinkenden Ball ins gegnerische Tor zu bringen, einen schweren Metallkorb, der sich am Rand und am Boden des Beckens befindet. Der Goalie versucht Tore zu verhindern, indem er sich über den Korb legt. Der Angreifer wiederum versucht den Goalie von unten wegzudrücken, auf dass sich eine Lücke für den Ball auftut. Erlaubt ist vieles, aber nicht alles, prinzipiell darf nur der Ballträger attackiert werden. Da wird durchaus gerangelt, blaue Flecken und Kratzer sind keine Seltenheit. Der Ball kann unter Wasser drei, vier Meter weit gepasst werden, die Bewegung gleicht der Wurfbewegung eines Kugelstoßers.

Der UWRC Wien hat 50 Mitglieder, ein Drittel davon sind Frauen. Jan Kindermann ist UWRC-Spielertrainer und Entwicklungshelfer. Der 24-Jährige stammt aus Krefeld, spielte jahrelang in Deutschland, wo Unterwasserrugby ziemlich groß ist und es eine Meisterschaft mit mehr als 80 Vereinen in diversen Ligen gibt. Nach Wien ist Jan gekommen, um Psychologie zu studieren. Beim UWRC ist er eine der treibenden Kräfte, die anderen sind Peter Kalchgruber, Uni-Assistent an der Fakultät für Informatik, und Matthias Neunteufel, Jurist und EDV-Beauftragter an der rechtswissenschaftlichen Uni-Fakultät.

Wie alles begann

Jan, der Coach, kümmert sich nicht nur um den UWRC Wien, sondern auch um das Damen-Nationalteam. Die Frauschaft nimmt 2017 erstmals an einem Großevent teil, an der EM in Budapest. Die Männer treten schon länger international an, auf Team- und Vereinsebene, etwa beim traditionellen Champions Cup im November in Berlin oder bei einem nicht minder traditionellen Turnier im August in Barcelona. 15 Wettkämpfe pro Jahr bestreitet der UWRC Wien, auch aktueller heimischer Meister. Der zweite große Klub ist in Graz daheim, weitere Vereine gibt es in Salzburg, Klagenfurt und Innsbruck.

Blaue Flecken und Kratzer können vorkommen. Es darf aber ausschließlich der Ballträger attackiert werden.
Christian Fischer

Die vergangene WM in Kolumbien haben die Österreicher auf Rang sieben beendet. Das Nationalteam war 1981 erstmals bei einer EM und einer WM dabei, nur in Deutschland und Skandinavien hat der Sport noch mehr Tradition. Norwegen und Deutschland sind auch die beiden Unterwasserrugby-Wiegen, da wie dort reichen die Wurzeln vierzig Jahre zurück. Es kann nur gemutmaßt werden, wie und warum UWR tatsächlich entstanden ist. "Wahrscheinlich war ein paar Tauchern im Training einfach fad", sagt Kindermann.

Wann trainiert wird

Fad ist es im Unterwasserrugby nicht, eher stressig. In Wien wird dreimal die Woche trainiert, in verschiedenen Bädern. Die Trainingszeiten (nach Badeschluss) sind knapp bemessen, irgendwann will auch der freundlichste Hallenwart nach Hause. 75 Minuten im Wasser, mehr geht sich selten aus. Da bleibt wenig Zeit für taktische Besprechungen, alle wollen immer nur spielen. Manchmal werden zwei, manchmal drei Teams gebildet.

Sechs gegen sechs, wie gesagt, eigentlich zwölf gegen zwölf, schließlich ist jede Position doppelt besetzt, wobei der Wechselspieler erst ins Wasser springen darf, wenn der, den er ersetzt, das Wasser vollständig verlassen hat. Da kommt es manchmal zu Regelverstößen und Diskussionen auch im Training. Bei Spielen werden die Wechsel von jenem der drei Schiedsrichter überwacht, der am Beckenrand steht, während seine zwei Kollegen das Geschehen unter Wasser verfolgen.

Wer mit wem spielt

"Einzigartig am Unterwasserrugby", sagt Kindermann, "ist die Dreidimensionalität. Ich kann mich in alle Richtungen bewegen, auch hinauf und hinunter. Deshalb ist Unterwasserrugby, was die Übersicht anbelangt, so aufwändig wie kein anderer Sport." Kindermann ist über seinen Vater zum UWR gekommen, das ist kein untypischer Zugang. In Wien sind etliche Spielerinnen und Spieler über einen Kurs des USI (Universitätssportinstitut) zum Verein gekommen und dort sozusagen hängengeblieben.

Das Besondere an UWR ist die Dreidimensionalität. Nicht die Länge, sondern die Qualität der Unterwasserphase ist entscheidend.
Christian Fischer

Im Wettkampf wird nach Geschlechtern getrennt. Manchmal spielt die eine oder andere Dame bei den Männern mit. Trainiert wird meistens gemeinsam und gemischt. Männer, Frauen, Burschen, Mädchen, Jüngere, Ältere. Der Benjamin des UWRC Wien heißt Anton und ist 13 Jahre alt, die meiste Routine bringt Dido Massimo (66) mit. Als Layouterin und Korrekturleserin an der geologischen Bundesanstalt ist sie in Pension gegangen, als Unterwasserrugbyspielerin macht sie natürlich weiter.

"Im Damenteam", sagt Dido, "herrscht Aufbruchsstimmung." 1978 hatte sie einen Tauchkurs absolviert, eigentlich der Fische wegen. Dann bog sie zum Unterwasserrugby ab. "Es hat mich von Anfang an fasziniert. Beim Tauchen in alle Richtungen fühlt man sich fast, als würde man fliegen. Man schwebt. Natürlich ist es anstrengend. Aber es geht nicht nur darum, lange die Luft anzuhalten. Wichtiger als die Dauer ist die Qualität der Unterwasserphase. Es ist der schönste Sport, den ich mir vorstellen kann."

Was wirklich schräg ist

Unter Wasser ist Rugby nicht die einzige Teamsportart. So gilt in Frankreich, Tschechien und Italien auch Unterwasserhockey als recht populär. Sogar von Menschen, die im Winter unter Wasser kopfüber Eishockey spielen, hat man schon gehört. "Aber das", sagt Dido, "ist ja wirklich schräg." Dann setzt sie wieder ihre Maske auf und steckt den Schnorchel in den Mund. Jan hat gerufen, dass jetzt wieder das Team mit den weißen Badehosen an die Reihe kommt. Dido und Anton springen ins Wasser. Herr Fischer erwartet sie schon. (Fritz Neumann, 23.5.2016)