Offiziell hat die Google I/O eigentlich nur eine einzige Keynote, und doch wurde auch der zweite Tag der Konferenz von einem Vortrag eingeleitet, der einen ähnlichen Charakter hatte. Ging es darin doch um ein Thema, das einen der aktuellen Entwicklungsschwerpunkte von Google darstellt: Virtual Reality.

Nicht ein Gerät sondern viele

Im Gegensatz zu anderen Herstellern will Google nicht einfach eine einzelne Hardwarelösung sondern eine vollständige Plattform anbieten, die wiederum von anderen Herstellern für die Entwicklung eigener Geräte genutzt werden kann, wie Googles VR-Chef Clay Bavor betont. Daydream nennt sich diese Initiative und besteht aus mehreren großen Bereichen. Der für die Hardwarepartner wohl wichtigste: Unter dem Namen "Daydream Ready" definiert Google eine Reihe von Anforderungen, die ein Smartphone erfüllen muss, um diese Zertifizierung zu erhalten. Dazu gehören neben diversen flotten Sensoren und einem schnellen Prozessor auch ein Bildschirm, der am Rand kein Licht durchlässt und keine Artefakte erzeugt, um nicht von der VR-Erfahrung abzulenken. Details zu diesen Mindestanforderungen will Google auf Nachfrage noch nicht nennen. Allerdings betont man, dass vorerst wohl nur High-End-Smartphones die gesetzten Anforderungen erfüllen würden. Nach und nach würde Daydream aber auch in andere Preisregionen vordringen.

VR Mode

Der zweite große Punkt sind VR-zentrierte Softwareoptimierungen, die gerade mit der aktuellsten Preview in Android N eingeflossen sind. Diese sollen nicht nur niedrige Latenzzeiten garantieren, es gibt auch einen neuen "Sustained Performance"-Modus. Dieser beschreibt die maximale Performance, die ein Smartphone wirklich dauerhaft halten kann. Ist es doch üblicherweise so, dass ein mobiler Prozessor bei Volllast nach wenigen Minuten signifikant an Leistungsfähigkeit verliert, da er aufgrund der Hitzeentwicklung die Taktfrequenz reduzieren muss. Für VR ist es aber wichtig eine stabile Framerate zu haben, und stattdessen lieber auf so manches grafische Detail zu verzichten. Ebenfalls neu sind – wie Google verspricht – hochqualitative Algorithmen für das Erkennen der Kopfbewegungen, um auch hier die Verzögerungen zu minimieren.

In einem kurzen Video von Spielehersteller Epic ist kurz ein Prototyp eines Daydream-Headsets zu sehen.
Foto: Google / Epic

VR-Brille von Google, aber nicht nur

Das Smartphone alleine macht aber noch keine VR-Lösung aus. Also hat Google ein Referenzdesign für Headset und Controller entworfen, auf deren Basis Dritthersteller eigene VR-Sets für ihre Smartphones bauen können. Google betont zudem, dass man selbst ebenfalls an einer solchen Kombi arbeitet, ein offizielles Android-VR-Set, wie zuletzt gemunkelt wurde, könnte also tatsächlich in den kommenden Monaten erscheinen. Von anderen bisherigen Lösungen in diesem Bereich soll sich der Google-Ansatz vor allem durch die bewusst simpel gehaltene Steuerung abheben. Die ersten solchen Geräte sollen jedenfalls im Herbst erscheinen, führt Google aus.

Nur eine Hülle

Vom Aufbau her ähnelt das Ganze Cardboard oder auch Samsungs Gear VR, die Brille ist also wirklich nur eine Halterung, und enthält keine eigene Elektronik, wie Google in einem Pressegespräch betont. Allerdings würde natürlich nichts einen Dritthersteller davon abhalten eine unabhängige VR-Brille zu bauen, die die Mindestanforderungen von Daydream erfüllt.

Wie sich Google die Nutzung des Daydream Controllers vorstellt.
Google VR

Daydream Home

Der zentrale Startpunkt für Ausflüge in die virtuelle Realität soll Daydream Home werden, quasi das Pendant zum Startbildschirm eines Smartphones. Von hier aus können dann die einzelnen Apps gestartet werden. Google hofft darauf, dass möglichst viele Entwickler ihre Apps mit eigenen User-Interfaces für die VR-Nutzung ausstatten – und geht gleich mit gutem Beispiel voran. So zeigte man im Rahmen einer Präsentation auf der I/O VR-Versionen des Google Play Stores und von Youtube. Weitere Apps von Google – wie Google Photos oder Play Movies – sollen ebenfalls entsprechend angepasst werden.

Daydream Home
Foto: Google

Entwicklungskit

Für interessierte Entwickler hat Google jedenfalls bereits ein eigenes Daydream Development Kit veröffentlicht. Derzeit wird dabei erst das Nexus 6P auf der Smartphoneseite unterstützt, für die Zukunft hat Google aber große Pläne: In wenigen Jahren sollen hunderte Millionen Daydream-kompatible Geräte im Umlauf sein, betont der Softwarehersteller. Eine Perspektive, die durchaus realistisch erscheint, haben sich doch praktisch alle großen Smartphone-Hersteller aus der Android-Welt der Google-Initiative angeschlossen. Und wenn diese alle ihre neuen Geräte "Daydream Ready" machen, kommen recht schnell viele Millionen solcher Devices zusammen.

Epic und Unity mit dabei

Da es bisher keine Daydream-Headset gibt, übernimmt übrigens bei der aktuellen Developer Preview ein Cardboard diese Rolle. Der Controller wird wiederum durch eine Smartphone-App emuliert. Ebenfalls für Entwickler von Interesse waren zwei andere Ankündigungen: Nämlich, dass sowohl Unreal-Engine-Hersteller Epic als auch Unity mit an Bord sind, und dabei helfen sollen, VR-Spiele auf den Weg zu bringen.

Einer von vielen Vorträgen Googles zum Thema Virtual Reality auf der I/O 2016
Google Developers

Zielsetzung

Auch wenn es bisher noch keine Daydream-Geräte gibt, eines dürfte schon jetzt klar sein: Mit der Leistungsfähigkeit von High-End-Lösungen wie HTC Vive oder Oculus Rift wird das Ganze nicht mithalten können – auch wenn man der Konkurrenz deutlich näher kommen will, als es etwa mit Cardboard möglich ist. Das obere Ende des VR-Markts ist aber auch gar nicht das Ziel von Google, viel mehr will man Virtual Reality der breiten Masse näher bringen, und da hat so ein Low-Cost-Ansatz sicher die besseren Chancen. (Andreas Proschofsky aus Mountain View, 20.5.2016)