Es ist verständlich, wenn sich ein neuer Regierungschef zunächst ganz auf die Aufgaben im Land selbst konzentriert; und dass er sich direkt an die krisengeprüften Bürger wendet und an ihre Gefühle appelliert, so wie Christian Kern es im Nationalrat tat.

Nachvollziehbar ist auch, wenn es im Stichwahlkampf um den künftigen Bundespräsidenten nur noch wenige Tage vor der Entscheidung vor allem um Machtfragen geht: was das Staatsoberhaupt darf oder nicht, ob und wie es in die inhaltliche Arbeit der Regierung eingreifen könnte.

Aber was verständlich und erklärbar ist, ist noch nicht gut. Die Zukunft des Landes entscheidet sich nicht an Empfindungen oder Kompetenzstreitigkeiten. Die zentrale politische Frage für ein kleines, exportorientiertes Land mitten im Kontinent lautet wie schon nach dem Ende der Ost-West-Teilung 1989: Wie halten wir es mit Europa?

Will Österreich als EU-Mitglied weiter zum Kern der Gemeinschaft (mit Deutschland, Benelux und Frankreich) gehören – samt Euro, offenen Grenzen, in einer liberalen, marktwirtschaftlichen, werteorientierten Union? Oder will es – wie einige EU-Partner und Parteien – den Weg zurück antreten, zu mehr Nationalismus, zum Sich-Verschließen?

Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer stehen da einander frontal gegenüber. Insofern wird die Wahl tatsächlich zu einer Richtungsentscheidung. Aber gerade darüber wird zu wenig, wird viel zu oberflächlich debattiert. (Thomas Mayer, 19.5.2016)