Man kann Sexismus in jeglicher Lebenssituation einfach thematisieren, indem man ihn thematisiert.

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Allen, die Sexismus bekämpfen möchten, ohne dabei auf rassistische Stereotype zurückzugreifen, wird in Deutschland in letzter Zeit regelmäßig vorgeworfen, wir würden Sexismus verharmlosen, der von nichtdeutschen Männern begangen wird. Denn, so die Unterstellung: Wenn man einen Migranten für sexistisches Verhalten kritisiert, wird man ja von "unseresgleichen" sofort als RassistIn beschimpft.

So eine Art Mittelweg

Wenn so eine Behauptung von rechtsaußen kommt, ist das zu erwarten und eigentlich nicht weiter der Rede wert. Aber der Vorwurf kommt immer wieder auch von Menschen, die man eigentlich für Verbündete hielte. Grade erst hat zum Beispiel Heide Oestreich in der "taz" so etwas geschrieben. Sie versucht zwischen "uns" und Alice Schwarzer so eine Art Mittelweg einzunehmen und schreibt:

"Die "Ausnahmslos"-Menschen müssen sich fragen lassen, wie man denn Sexismus in bestimmten Einwanderermilieus, die von einem reaktionären Frauenbild geprägt sind, überhaupt benennen kann und wie man ihm so begegnen kann, dass Frauen, die darunter vor allem zu leiden haben, geschützt sind. Die Antwort bleiben sie bisher schuldig."

Ich verstehe das nicht, denn die Antwort ist doch ganz einfach: Man kann Sexismus in jeglicher Lebenssituation einfach thematisieren, indem man ihn thematisiert. Und genau wie in jeder anderen Lebenssituation gibt es keinen Zwang, dass man dabei rassistisch sein muss.

Unterstellung ohne Begründung

Die Behauptung, wir "Ausnahmslos"-Menschen hätten ein Problem damit, Sexismus in bestimmten Milieus zu thematisieren, ist eine Unterstellung, die nie begründet wird, und die sich auf diese Weise nach und nach zur Binsenweisheit verfestigt (ganz ähnlich übrigens wie Alice Schwarzers Behauptung, der Differenzfeminismus würde Unterschiede zwischen Frauen und Männern essentialistisch zementieren. Das haben irgendwann auch alle nachgeplappert).

Ich selbst kann auf jeden Fall mit gutem Gewissen sagen, dass ich mir noch nie eine Kritik an Sexismus aus Gründen der politischen Korrektheit verkniffen habe. Ich kritisiere Musliminnen für Interpretationen des Kopftuchs, die ich sexistisch finde, diskutiere auf Facebook mit IslamvertreterInnen über patriarchale Koranauslegungen und bekomme dafür nicht mehr oder weniger Ärger als für andere Meinungen, die ich vertrete. Wirklich: Sexismus in migrantischen Kontexten zu kritisieren, ist nicht schwerer oder leichter, als Sexismus generell zu kritisieren. Jedenfalls für eine nichtmigrantische Deutsche wie mich. Was Feministinnen innerhalb migrantischer Communitys betrifft, so bin ich mir da nicht so sicher, denn ich kann mir vorstellen, dass sie gerade durch den rassistischen Diskurs rundum in Legitimationsprobleme gedrängt werden, aber das ist ein anderes Thema, zu dem übrigens einiges Lesenswerte im aktuellen "Missy Magazine" steht.

Sexismus benennen, ohne rassistisch zu sein

Whatever, das Einzige, was man tun muss, um "Sexismus in bestimmten Einwanderermilieus" zu benennen, ohne dabei rassistisch zu sein, ist ein paar kleine Punkte beachten:

  1. Man soll Sexismus benennen, kritisieren und anprangern, wo immer er auftritt. Ausnahmslos.
  2. Man soll alle von sexualisierter Gewalt betroffenen Opfer gleichermaßen ernst nehmen, ihnen glauben, sie fragen, was sie brauchen, und ihnen unbürokratische Hilfe und Ressourcen anbieten.
  3. Man soll beim Versuch, die Ursachen sexualisierter Gewalt zu verstehen, eine breite Palette von Möglichkeiten in Betracht ziehen: individuelle ebenso wie strukturelle Gründe, soziale ebenso wie kulturelle und weltanschauliche.
  4. Man soll nicht mit zweierlei Maß messen, also selbstkritisch prüfen, ob und inwiefern die eigene Einschätzung der Situation eventuell von Vorurteilen oder ungeprüften Vorannahmen über Kulturen und Gewohnheiten geprägt sein könnte, die einer selbst fremd sind. Am besten, indem man sich dafür mit Menschen aus diesen Kulturen, die einer selbst fremd sind, bespricht.
  5. Und vor allem: Man soll nie, nie, nie, niemals bei der Bekämpfung sexualisierter Gewalt noch andere politische Agenden verfolgen, man soll nie, nie, nie das Leid der Betroffenen dafür instrumentalisieren, andere politische Kämpfe auszufechten.

Markige Sprüche helfen niemandem

Warum sind diese Punkte wichtig? Nicht aus politischer Korrektheit heraus, sondern weil man ein Problem nur dann angehen kann, wenn man sich wirklich darum bemüht, es zu verstehen. Wer das Phänomen der sexualisierten Gewalt in migrantischen Kontexten auf "den Islam" oder "die sind eben patriarchal drauf" verkürzt, wird es nicht lösen, sondern verschärfen. Wer sich vorschnell eine eindimensionale Ursache zusammenrauft, kann keinen praktikablen Hebel finden, bei dem sich ansetzen ließe.

Markige Sprüche, wonach man es "denen" endlich mal mit aller Härte zeigen muss, hinterlassen zwar ein schönes Gefühl der eigenen Zampanohaftigkeit, helfen aber niemandem, vor allem nicht den Opfern (höchstens der AfD zu noch ein paar Prozentpunkten mehr).

Widerstand von innen und außen

Sexualisierte Gewalt ist nun mal nichts, was man einfach nur mit Gesetzen, quasi von außen lösen könnte. Sexualisierte Gewalt ist in Kulturen sehr tief eingebettet, und eben in unterschiedliche Kulturen auf unterschiedliche Weise. Wir haben mit der Frauenbewegung in Deutschland die Erfahrung gemacht, dass es hier um eine Politik der Beziehungen geht.

Sexualisierte Gewalt findet überwiegend im Privaten statt, deshalb kann man ihr nur etwas entgegensetzen, indem der Widerstand von innen und von außen gleichzeitig kommt. Es ist von ganz entscheidender Wichtigkeit, dass die betroffenen Frauen selbst aktiv werden, dass sie Vertrauen haben zu denen, die Hilfsangebote bereitstellen, dass es für sie gangbare Brücken gibt zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, dass von ihnen nicht erwartet wird, sich gegen ihre gesamte Herkunft und Geschichte zu stellen, bevor sie Unterstützung finden.

Weibliche Freiheit

Ich erinnere mich an eine Diskussionsveranstaltung vor vielen Jahren, in der Luisa Muraro einen Vortrag zum Thema Freiheit lehren gehalten hat und dabei die Frage diskutierte, wie wir wegkommen von weiblichem Konformismus, hin zu weiblicher Freiheit. Im Anschluss erzählte eine Zuhörerin aus dem Publikum von einer jungen Frau in ihrer Nachbarschaft, die von ihrem Vater in ihrer Freiheit stark eingeschränkt wird, die gezwungen wird, ein Kopftuch zu tragen, nicht auf Feste und Klassenfahrten darf, ständig im Haushalt helfen muss. "Dagegen müsse man doch etwas tun!", rief die Frau empört.

"Ja", stimmte ihr Muraro zu, und fragte: "Und, was tust du?" (Antje Schrupp, 20.5.2016)