Trotz Madeirakuchenkrümeln in der Farbe streicht die schrullige Miss Shepherd (Maggie Smith) alles Rühreigelb: den Van, das Dreirad und teilweise sogar sich selbst.

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Ein ungleiches Paar: Die Vagabundin Miss Shepherd (Maggie Smith) und der Autor Alan Bennett (Alex Jennings).

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Wien – Wie einem auch schnell einmal der eigene Ruf vorauseilen kann, so eilt beim ersten Kennenlernen von Miss Shepherd ihr Geruch den Gerüchten voraus. Die olfaktorische Herausforderung wohnt in einem Lieferwagen und logiert im Londoner Stadtteil Camden Town vor Einfamilienhäusern, den gelben Van geparkt mit exakt eineinhalb Zoll Abstand zum Gehsteig. Nur Lärmbelästigung durch Blockflöte spielende Kinder kann einzig sie dazu bewegen, die Handbremse, wie König Arthur Excalibur, zu lösen und weiterzuziehen. So landete sie schließlich vor der Nummer 23, wo der gutmütige Autor Alan Bennett einwilligte, das stinkende Zuhause der alten Lady vorübergehend in seiner Einfahrt zu dulden. Miss Shepherd blieb 15 Jahre, bis zu ihrem Tod 1989.

Pianoforte à Paris

Diese "ziemlich wahre Geschichte" – wie es im Vorspann heißt – ist ähnlich zum Theaterstück, in dem die allseits bewunderte, zweifache Oscargewinnerin Maggie Smith schon 1999 die Rolle der alten Lady verkörperte, keinesfalls nur Wohlfühlkino und sogar teils experimentell inszeniert (Regie: Nicholas Hytner).

KinoCheck

Neben dem regelmäßigen Abkratzen von menschlichen Überresten arrangiert sich Bennett mit seiner undankbaren "Mieterin". Vereinzelt in Rückblenden dargestellt, löst er das Puzzle um die Person Miss Shepherd. Fließendes Französisch und zwanghafter, grimmiger Katholizismus, als auch der Graus vor Musik geben Einblick in ihre Vergangenheit: In jungen Jahren eine vielversprechende Pianistin gewesen, geriet sie durch einen vermeintlich selbst verschuldeten Autounfall aus der Bahn. War es für sie leichter Klavier zu spielen, als zu beten, blieb auch das Kloster nicht lange ihre Zuflucht.

Der Plot denkt überhaupt nicht daran, den Zuschauer leicht dahindümpeln zu lassen: Unfähige Sozialarbeiter, Mutterkomplexe, Beamtenkorruption, Fanatismus und Identitätsprobleme des Autors sind Themen. Darüber schwebt immer die typisch britische, höfliche Distanz in der Anteilnahme der beiden Protagonisten am Leben des jeweils anderen.

Die exzentrische alte Dame Miss Shepherd ist Dreh- und Angelpunkt des Films: obdachlos, inkontinent, wahnhaft – es ist bemerkenswert, wie Maggie Smith aus einer derart psychotischen Invaliden eine so reizende alte Lady zaubert. (Anja Krämer, 19.5.2016)