Polizeibehörden könnten künftig automatisch anonyme Anrufer bei überwachten Telefonaten identifizieren

Nach Fingerabdrücken, DNA und Gesichtserkennung wird die Stimme zum Gegenstand von Überwachung. Ein Interpol-Forschungsprojekt will eine Stimmdatenbank aufbauen und automatisiert unbekannte Gesprächsteilnehmer erkennen. Genutzt werden könnte das etwa, wenn Telefonate von Jihadisten mit anonymen Teilnehmern abgehört werden. Wer am anderen Ende der Leitung sitzt, ermittelt dann die Technologie. An diesem "Speaker Identification Integrated Project" sind fünf Polizeibehörden, fünf Forschungsinstitute und neun Privatunternehmen beteiligt. Seit Mai 2014 sponsert die EU-Kommission das Projekt, das bis Ende 2018 läuft.

Wiener Firma liefert Technologie

Dabei werden binäre Modelle von Stimmen erstellt, die als Voice-Prints bezeichnet werden. Diese können mit gesammelten Proben verglichen werden. Interpol will dafür eine globale Stimmendatenbank aufbauen. Ein wichtiger Baustein der Technologie stammt aus Österreich: Die Wiener Firma Sail Labs hat sich im Bereich der Verarbeitung offener Social-Media-Informationen einen Namen gemacht. Auch beim Thema Spracherkennung hat das Unternehmen viel Erfahrung. Für ein EU-Projekt wurde die Verarbeitung von Kinderstimmen erforscht, eingesetzt wurde dies bei Projekten zum digitalen Lernen. Diese Technologie kann bei SIIP verwendet werden, um Kinder zu identifizieren und dann zu irrelevanten Sprechern zu erklären.

Geschlecht, Alter, Akzent

"In einem ähnlichen Set-up kann durch Unterscheidung des Geschlechts eines Sprechers das Audio von unbeteiligten Personen eliminiert werden", sagt Sail-Labs-Forscher Gerhard Backfried zum STANDARD. Außerdem hilft die Technologie aus Wien, bestimmte Schlüsselwörter zu erkennen. Das erinnert an die sogenannten Selektoren, die von Geheimdiensten wie NSA und BND zum Filtern abgefangener Nachrichten eingesetzt werden. Hauptverantwortlich wird SIIP von der israelischen Firma Verint betreut.

Die Firma tauchte immer wieder im Zusammenhang mit der NSA und dem Mossad auf. Verint soll den US-Geheimdiensten geholfen haben, eigene Bürger abzuhören. Ihr Gründer Jacob Alexander wird wegen Betrugs von US-Behörden gesucht, die Firma danach neu aufgestellt. Jetzt soll SIIP also unter Leitung von Verint, gesponsert von EU-Geldern, die Technologie zur Identifikation unbekannter Stimmen liefern.

Social-Media-Daten

Der Abgleich soll sich nicht auf Proben Verdächtiger beschränken. In einem Folder, der auf der spärlichen Projektwebsite abgerufen werden kann, ist die Rede von Social-Media-Daten, die zur Identifikation herangezogen werden. SIIP könnte also Youtube-Videos durchforsten, um Stimmen zuweisen zu können. Diese Praxis ist in manchen Ländern legal – vor allem, wenn es um Ausländer geht. In der EU ist das schwieriger. Die Grundrechtecharta schützt biometrische Daten wie die Stimme unmissverständlich. Laut Überwachungsexperte Matthias Monroy, der 2014 erstmals für Netzpolitik vom SIIP-Projekt berichtet hatte, weist darauf hin, dass auch bei der Gesichtserkennung schon teilweise in sozialen Netzwerken nach Abgleichen gesucht werde. Stimmproben werden schon jetzt in Fallbearbeitungssystemen gespeichert, so Monroy zum STANDARD.

Laut Gerhard Backfried von Sail Labs ist ein gesamtes Arbeitspaket des SIIP-Projekts den datenschutzrechtlichen Bestimmungen gewidmet. Daran beteiligt sich etwa die Security Ethics Group der englischen Warwick University. Einige Mechanismen, die eindeutig effizienter gewesen wären, seien laut Backfried wegen "ethischer und rechtlicher Einschränkungen verworfen worden". Man orientiere sich am "kleinsten gemeinsamen Nenner" aller bei Interpol vertretenen Organisationen. Außerdem sollen alle Bestandteile der Datenbank durch Verschlüsselung vor unbefugtem Zugriff geschützt werden.

Immer mehr Biometrik

Das Bundeskriminalamt ist am Forschungsprojekt nicht beteiligt. Es besteht allerdings Interesse, wie ein Beitrag im offiziellen Magazin des Innenministeriums zeigt. Dort wird berichtet, dass die SIIP-Technologie vergangenen November beim "Smart Police"-Symposium in Wien vorgestellt wurde. In Österreich setzt die Polizei schon jetzt stark auf biometrische Daten. Der Verfassungsgerichtshof mahnte 2014, dass die Polizei bereits wegen Bagatelldelikten DNA-Proben entnehme. Im Jahr 2013 fanden in Österreich insgesamt 14.625 DNA-Analysen statt. Laut Innenministerium gab es in der Fingerabdruckdatenbank AFIS Stand 2014 über 835.000 Einträge. Diese Daten werden auch mit europäischen Partnern getauscht. Diese haben jedoch keinen direkten Zugriff, sondern bekommen Informationen, ob der übermittelte Fingerabdruck in anderen Datenbanken vorhanden ist. So ähnlich könnte dereinst auch die Stimmdatenbank funktionieren. Ende 2018 muss sich die Politik damit beschäftigen. (Fabian Schmid, 17.5.2016)