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Eine Dollarnote zeigt IS-Chef Bagdadi und Nusra-Chef Jolani.

Foto: Reuters/Bassem Khabieh

Damaskus/Wien – Nach dem kometenhaften Aufstieg des "Islamischen Staats" wurde dessen selbsternannter "Kalif" Ibrahim Awad al-Badri alias Abu Bakr al-Bagdadi oft als wahrer Erbe des von den USA 2011 getöteten Osama Bin Laden gesehen. Tatsächlich hatte Ayman al-Zawahiri, seit Bin Ladens Tod der Führer Al-Kaida, 2013 die Autorität über al-Bagdadi und den IS verloren, zu dem auch viele Kämpfer der Al-Kaida und anderer Gruppen überliefen. Aber Al-Kaida ist noch nicht tot. Nicht nur in Syrien und dem Irak, auch in anderen Ländern – von Libyen bis zum Jemen oder Afghanistan – findet der Konkurrenzkampf zwischen den beiden mächtigen jihadistischen Organisationen statt.

Auch angesichts des Schreckens, den der IS verbreitet, wurde der syrische Zweig Al-Kaidas, die Nusra-Front – ursprünglich ebenfalls eine Gründung al-Bagdadis -, für syrische Rebellen, die keine Berührungsängste mit dem Islamismus haben, zum Kooperationspartner. Nachdem Ende Februar in Syrien eine Waffenruhe ausgerufen wurde, die jedoch nicht für den IS und die Nusra-Front galt, stieg der Druck der Rebellen, sich zu entscheiden: gegen die Nusra-Front und für die Feuerpause oder umgekehrt.

Argumente und Drohungen

Nicht immer fällt so eine Entscheidung ganz freiwillig, berichtete Charles Lister vom Middle East Institute vor kurzem in "Foreign Policy". Rebellen berichten neben "überzeugenden Argumenten" der Nusra-Front auch von Drohungen. Die Nusra-Offensiven, bei denen es schwer ist, zwischen Jihadisten und normalen Rebellen zu unterscheiden, haben zur Korrosion der Waffenruhe beigetragen, die nun in Wien von den Mitgliedern der ISSG (International Syria Support Group) gerettet werden soll. Das Assad-Regime, mit russischer und iranischer Unterstützung, nimmt sich ohnehin keine Mühe, zu unterscheiden, gegen wen es vorgeht – es nützt die Situation, um Terrain zurückzugewinnen.

Audiobotschaft

Der IS hat zuletzt in Syrien wieder einige militärische Treffer landen können, aber ganz allgemein ist er eher in der Defensive. Dies könnte Al-Kaida im Plan bestärken, etwas für die eigene Profilierung zu tun: Laut Lister könnte das erste "Emirat" Al-Kaidas im Entstehen begriffen sein, auf syrischem Boden, im Norden bei Idlib. Zawahiri hat mehrere Vertreter der Al-Kaida-Führungsriege zu Konsultationen nach Syrien entsandt, und er hat in einer Audiobotschaft der Nusra-Front sozusagen die Erlaubnis erteilt, einen Emir zu wählen und ein Emirat zu errichten.

Geschehen ist das allerdings bisher nicht: Al-Nusra soll ihre Absichten anderen Rebellen erklärt haben – und auf Ablehnung gestoßen sein. Es gehört zur Taktik der Nusra-Front, möglichst wenig Antagonismus bei anderen Rebellen und bei der Bevölkerung hervorzurufen: eine Konsequenz der Al-Kaida-Niederlage im Irak, wo sich ab 2007 die zuvor verbündeten Stämme gegen die Organisation wandten, weil sie ihnen zu brutal geworden war.

Ein Vorfall im März im syrischen Maarat al-Numan, wo die Nusra-Front die Rebellen der "Freien Syrischen Armee" (FSA) ausbooten wollte und auf Widerstand in der Bevölkerung stieß, erinnert daran. Allerdings, so Lister, schloss sich unter anderen genau jene FSA-Division aus Maarat al-Numan drei Wochen später einer Nusra-Offensive an.

Al-Kaida profitiert jedoch nicht nur von der Degradierung des IS, sondern muss auch für sich selbst Lösungen finden. Was von der zentralen Führung übriggeblieben ist, die seit 2001 in Afghanistan und Pakistan gejagt wird, sucht einen neuen Anker – in Syrien, vor den Toren Europas.

Zawahiris Fluch

Zawahiri möchte seine Organisation als die besonnenere, widerstandsfähigere präsentieren, die näher am "normalen" gläubigen Sunniten ist. Er attackiert den IS scharf – und mit exakt den Argumenten, die etwa der König von Jordanien oder die Saudis verwenden: Der IS, das seien die neuen "Khawarej". Diese dritte frühislamische Gruppe neben Sunniten und Schiiten gilt als die erste radikale im Islam. (Gudrun Harrer, 16.5.2016)