Ein Quereinsteiger als Kanzler? Nicht nur im Ausland wundert man sich darüber. Christian Kern ist der erste Regierungschef, der nicht bereits Minister oder Parteichef war oder durch Wahl ins Kanzleramt kam. Aber Kern verfügt als Manager eines staatsnahen Unternehmens wie der ÖBB über Erfahrung im Politbetrieb, sodass er mit den Schalthebeln der Macht umzugehen weiß. Was vorab über sein Team durchsickerte, klingt fein austariert: Einbindung von Vertretern von links und rechts innerhalb der SPÖ, der Bundesländer im Süden und Westen, eine Mischung aus Erfahrung und frischem Wind. Er signalisiert damit Veränderungen, vermeidet aber Verprellungen.

Dass Kern und Gerhard Zeiler einen Plan zur Ablöse Faymanns ausgeheckt haben, erfuhr man im Nachhinein. Die eigentlichen Treiber waren die Landesparteichefs aus dem Süden und Westen – eine signifikante Verschiebung der Machtverhältnisse weg von Wien innerhalb der SPÖ. Kern selbst hat in den vergangenen Tagen die Lage richtig eingeschätzt: Der Druck werde so groß, dass er sich selbst gar nicht aufdrängen müsse.

Euphorie um Zeiler

Wer die geradezu euphorischen Reaktionen in den sozialen Medien nach dem ZiB 2-Auftritt Zeilers verfolgt hat, der in prägnanten, geradlinigen Sätzen den Zustand der SPÖ und die Herausforderungen beschrieben hat, weiß, wie sehr die Partei, aber auch die Bürger in der Ära nach Faymann nach klaren Worten dürsten. Daraus entsteht eine für Österreich typische Erwartungshaltung, der Kern nun gerecht werden muss. Kern wird als Heilsbringer und Wunderwuzzi gleichermaßen betrachtet – und das, obwohl man in wichtigen politischen Fragen nicht weiß, wofür der langjährige Bahnmanager eigentlich steht. Die Parteigranden haben ihm einen Blankoscheck ausgestellt in der Hoffnung, er werde Partei und Regierung aus dem Jammertal führen.

Dass Kern Kanzler kann, diese Frage ist in der Partei schon beantwortet – praktisch muss er sich erst beweisen. Auch wenn Reinhold Lopatka querschießt, verteilen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner und Wirtschaftsvertreter doch Vorschusslorbeeren. Aber auch die muss Kern erst verdienen. Bei den Bürgern wird – gerade in der Politik – Führungsstärke verlangt. Aber je mehr Kern Kante zeigt, desto mehr Kritik wird es geben – auch das ist in Österreich so üblich.

Wahlempfehlung

Kern hat keine Hundert-Tage-Frist, um sich in der Flüchtlings- und Integrationsfrage festzulegen, auch zur FPÖ muss er rasch Position beziehen. Die Frage, ob die SPÖ eine Wahlempfehlung für Alexander Van der Bellen vor der Präsidentschaftsstichwahl abgibt, muss er gleich beantworten.

Kern braucht auch einen klaren Zeitplan für eine Senkung der Abgaben- und Steuerlast, für eine Bildungsreform und Änderungen im Sozialsystem. Hier ist der Macher Kern gefragt – in der Partei aber mehr der Visionär Kern, der der SPÖ wieder vermitteln muss, wofür die Partei eigentlich steht.

Die Chance, die Mitglieder über den neuen Parteichef abstimmen und sie aus mehreren Kandidaten nach deren Präsentation auswählen zu lassen, wie dies etwa die Labour-Partei gemacht hat, ist vertan worden. Aber Kern sollte, wie in der SPD geschehen, eine breite Mitgliederbefragung ansetzen und versuchen, mehr Partizipation bei der Erarbeitung eines neuen Programms zu ermöglichen. Auch hier besteht in Österreich Nachholbedarf. Kern wird nicht alles anders, kann aber vieles besser machen. (Alexandra Föderl-Schmid, 13.5.2016)