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Adam Zagajewski wurde gerade mit dem Leopold-Lucas-Preis der Universität Tübingen ausgezeichnet.

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STANDARD: Sie sind Dichter und Essayist. Welcher der beiden Bereiche bedeutet Ihnen mehr?

Zagajewski: Fast jeder Autor, der in diesen beiden Bereichen arbeitet, würde wohl sagen: Die Poesie ist wichtiger, sie hat etwas Konzentrierteres, etwas Künstlerisches. Sicher, das Publikum dafür ist klein, aber auch heutzutage bleiben immer noch einige gute Leser. Den Essay sehe ich als eine Erweiterung der Gedichte, man kann da mehr sagen, vielleicht ist es aber auch weniger im künstlerischen Sinn. Es gab viele Lyriker, die auch intensiv Essays geschrieben haben, die zwischen der Passion und der Rationalität einen Ausgleich suchten.

STANDARD: Anfang des Jahres haben Sie den Jean-Améry-Preis erhalten. Was verbinden Sie mit ihm?

Zagajewski: Ich kenne sein Werk seit langem. Persönlich habe ich ihn nie kennengelernt, aber er ist mir ein Begriff. Das Buch Jenseits von Schuld und und Sühne ist für mich ein Klassiker, auch in der Hinsicht, wie eine Biografie zum Gegenstand eines Essays werden kann.

STANDARD: Améry hat immer eine Position abseits der Ideologien gesucht. Das müsste Ihnen im kommunistischen Polen auch zugesagt haben.

Zagajewski: Heute weiß ich, dass ich das damals gesucht habe, aber damals ist mir das noch nicht so klar geworden.

STANDARD: Kann man mit Lyrik in einem totalitären System etwas ausrichten?

Zagajewski: Es gab eine Zeit, in der das möglich war, vor allem in den späten 70er-Jahren. Wir lebten damals in einer Gesellschaft, in der das Wort nicht frei war. Das war ein Opfer, aber ein frohes, denn wir haben eine gemeinsame Sprache mit unseren Lesern gehabt. Später habe ich begriffen: Ich kann nicht mein ganzes Leben so schreiben, ich muss einen Weg in Nichtpolitisches finden.

STANDARD: Sie fanden einen Weg ins Exil.

Zagajewski: Der Grund meines Exils war die Liebe zu einer Frau, die ich in Paris traf. Ich hätte auch in Polen bleiben können, ohne diese persönliche Sache wäre ich wohl nicht in den Westen gegangen. Gleichzeitig war ich ein Dissident, für die meisten war ich doch ein politischer Émigré, so durfte ich auch nicht nach Belieben hin und her reisen. Sieben Jahre lang durfte ich überhaupt nicht nach Polen zurück.

STANDARD: Auch ein Opfer.

Zagajewski: Man musste wählen zwischen verschiedenen Opfern. Ich klage nicht. Jean Améry hatte wirklich ein tragisches Leben, meine Generation hat diesen Grad der Tragödie nicht. Wir haben ein interessantes Leben gehabt.

STANDARD: Sie sind Schritt für Schritt nach Westen gekommen.

Zagajewski: Ja, geboren wurde ich in Lemberg, dann lebten wir in Gleiwitz in Oberschlesien, dann Krakau, einmal zwei Jahre in Berlin, dann zurück nach Krakau, dann Paris, dann Amerika.

STANDARD: Als Pole stammen Sie aus der Ukraine. Wie stehen die Polen heute zu diesem Land, das um seine Freiheit kämpft?

Zagajewski: Es gibt eine bedeutende Gruppe von Menschen, die sich leidenschaftlich für die Ukraine engagieren. Das ist nicht mein Temperament. Ich bin ein Kopfmensch. Aber das interessiert mich sehr, ich sympathisiere stark mit den Bemühungen der Ukraine um eine freiheitliche Gesellschaft. Aber ich kann nicht prahlen, dass ich das und das gemacht hätte. Ich gehöre also im Geist zu dieser Gruppe und verfolge nervös, was in der Ukraine vor sich geht.

STANDARD: Der Historiker Timothy Snyder wird nicht müde, zu erläutern, dass sich an der Ukraine die Zukunft von Europa entscheidet.

Zagajewski: Ja, natürlich. Deswegen ist das so wichtig, umso mehr, als Polen jetzt wackelig geworden ist. Die Mehrheit der Politiker in Polen verhielt sich in dieser Angelegenheit bis jetzt gut. Nur eine Minderheit kann den Ukrainern den Zweiten Weltkrieg nicht verzeihen.

STANDARD: Wie stellt sich für Sie die Situation im heutigen Polen dar?

Zagajewski: Im Wahlkampf waren die schließlich siegreichen Parteien sehr geschickt, sie haben einfach mehr Geld versprochen, die Gefährdung der Gewaltenteilung stand nur im Kleingedruckten. Geheim war das allerdings nicht, man konnte es schon kommen sehen. In dem Wahlergebnis treffen sich zwei Ressentiments. Die Politiker, die jetzt in der Regierung sind, waren früher nicht sehr erfolgreich, hatten meist das Nachsehen. Sie haben sich nun an die Macht gebracht, indem sie geschickt auf ein anderes Ressentiment setzten, jenes der Leute aus den Kleinstädten und vom Land, die etwas haben gegen die Leute in Warschau, die in den großen Autos fahren. Es ging gar nicht so sehr um große Politik, sondern um einen Aufstand der kleinen Leute.

STANDARD: Ist Polen ein gespaltenes Land? Und welche Rolle spielt der Katholizismus?

Zagajewski: Es gibt zweifellos zwei Teile, wenngleich es nicht ganz eindeutig zwei gleich große Hälften sind. Der Katholizismus ist einerseits eine allgemeine Größe, dann gibt es aber einen Katholizismus in einer provinziellen Version, im Vergleich dazu ist der liberale Katholizismus weniger stark. Aber inzwischen gibt es ja auch andere Erfahrungen. Es gibt so viele Leute, die nach Großbritannien gehen, um besser zu verdienen. Die kommen hoffentlich zurück und sagen, dass der Liberalismus nicht so schlimm ist.

STANDARD: Während des Kommunismus muss Ihnen der Katholizismus zwiespältig erschienen sein: Die Kirche war antitotalitär, aber wohl gesellschaftlich auch damals konservativ.

Zagajewski: Die katholische Kirche hat sich im Kommunismus ganz gut verhalten. Den polnischen Papst greift niemand an, den neuen schon.

STANDARD: Haben Sie Karol Wojtyla einmal getroffen?

Zagajewski: Nein, nur beinahe. Eine meiner Tanten war eine Freundin von ihm. Ich war damals allerdings stark antiklerikal. Einmal hat er mich zu einem Seminar eingeladen. Er hatte jede zweite Woche eines, dazu wurden auch Intellektuelle eingeladen. Ich bereitete mich vor und ging hin, aber er hatte eine Grippe gekriegt und fehlte an diesem Tag. So habe ich ihn versäumt. Ich bin jedoch sicher, dass aus dieser Begegnung nichts hervorgegangen wäre.

STANDARD: Sie hätten ihn aber ernst genommen.

Zagajewski: Er war ein seriöser Denker und kein Fanatiker.

STANDARD: Warum sieht die graue Eminenz Jaroslaw Kaczynski ausgerechnet in der früheren Opposition gegen die KP ihren Gegner?

Zagajewski: Das ist in der Tat sehr gefährlich, und Kaczynski und seine Leute machen das mit einem erstaunlichen Fanatismus. Sie wollen eine präzise Operation machen, bei der sie Dissidenten auseinanderdividieren. Warschauer Intellektuelle wie Adam Michnik werden verdächtig gemacht. Da wird eine Teilung in die Vergangenheit zurückprojiziert.

STANDARD: Wo liegen denn positive Anknüpfungspunkte für eine nationale Mythologie in Polen, die nicht dem Ressentiment dienen?

Zagajewski: Bis jetzt war das die Solidarnosc, früher war das der Widerstand im Krieg.

STANDARD: Der Warschauer Aufstand von 1944?

Zagajewski: Der Warschauer Aufstand war das Crescendo. Aber es gab schon davor bedeutende Anstrengungen, die Heimatarmee war eine große Organisation, die mit der Londoner Regierung in Verbindung war. Es ging dabei nicht nur um den militärischen Kampf. Vor allem wurde das ganze Schulwesen im Untergrund aufrechterhalten. Die Nazis sagten: Polen brauchen kein Abitur. Der Widerstand hat Tausenden von Leuten ein konspiratives Abitur ermöglicht. Das ist eine Quelle des Stolzes, aber das spricht die Vorstellungskraft nicht so stark an.

STANDARD: Wie halten Sie es denn heute mit der polnischen Identität? Sie schreiben ja weiterhin in Polnisch, sind aber ein Weltbürger.

Zagajewski: Ich bin Kosmopolit geworden, aber wegen der Sprache und der Erfahrung ist Polen meine zweite Haut. Das ist gar kein Widerspruch, es ist ein Widerspruch, den uns die provinziellen Geister einreden wollen.

STANDARD: Sie nennen immer wieder Zbigniew Herbert als ihr großes Vorbild. Gibt es weitere Dichter, die Sie empfehlen?

Zagajewski: Hofmannsthal ist einer meiner Götter. Besonders die frühen Sachen: seine Rede über Balzac, das Gespräch über Gedichte oder das Romanfragment Andreas oder Die Vereinigten. Man kann ihn nicht lesen, ohne inspiriert zu sein. (Bert Rebhandl, Album, 14.5.2016)