Wien – Wilhelm B. soll quasi ein Amokfahrer sein, sagt die Staatsanwaltschaft. Im Februar soll er auf einem Parkplatz zunächst einen Mann mit dem Auto gestreift und kurz darauf dessen auf einem Laufrad fahrende Tochter beinahe gerammt haben. Passiert ist glücklicherweise nichts, dennoch muss sich der 73-Jährige wegen des selten verhandelten Delikts "Gefährdung der körperlichen Sicherheit" sowie Nötigung vor Richter Andreas Böhm verantworten.

Was Verteidiger Joachim Pfeiler überhaupt nicht versteht. "Erstens kann sich der Zwischenfall nicht so abgespielt haben, wie die Zeugen behaupten. Aber selbst wenn es so gewesen wäre – es wäre ein Verwaltungsstrafakt. Erst durch die Novelle der Fahrlässigkeitsdefinition kommt es vor ein Strafgericht. Es kann aber nicht sein, dass dieser Paragraf für die Staatsanwaltschaft zum Auffangdelikt für alle Verkehrsunfälle ohne Körperverletzung wird", empört er sich.

Parkplatz der Panoramaschenke

B. legt seine Sicht der Dinge da. Er wollte am Nachmittag des 6. Februar die Panoramaschenke in Wien-Oberlaa ansteuern. Er fuhr zunächst auf einen etwas weiter entfernten Parkplatz, entschied sich um, reversierte und begab sich zu dem näher beim Restaurant gelegenen.

Dort war aber keine Lücke frei, also wendete er neuerlich. Bei der Ausfahrt registrierte er eine Menschengruppe, "plötzlich sehe ich vor meiner Motorhaube ein Kind. Das wurde von einer Frau weggezogen, ich bin gleichzeitig ausgewichen." Er sei mit fünf bis zehn Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen. Nachdem er sein Auto auf dem ursprünglich ins Auge gefassten Parkplatz abgestellt hatte, sei die Menschengruppe auf ihn zugekommen und habe geschimpft. Um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, sei er davongefahren.

Aufheulender Motor und ein Schlag

Zeuge Alexander N. schildert die Situation viel dramatischer. Bereits auf dem ersten Parkplatz sei es zu einem Zwischenfall gekommen. "Ich war gerade am Kofferraum, da habe ich einen Motor aufheulen gehört und plötzlich einen Schlag gespürt."

Der Autofahrer müsse wohl seine über die Schulter gehängte Wickeltasche touchiert haben. "Was war denn in der drinnen?", will der Verteidiger wissen. Windeln und anderer Babybedarf, hört er. Die Frage ist tatsächlich relevant, denn der Zeuge erzählt weiter: "Ich habe gesehen, dass der Außenspiegel des Autos eingeklappt war." Was beim Kontakt mit einer weichen Tasche eher unwahrscheinlich klingt.

Kurz darauf habe er auf dem zweiten Parkplatz das Auto zufällig wiederentdeckt. "Ich wollte hingehen und den Fahrer zur Rede stellen, plötzlich hat er Gas gegeben und ist wieder weggefahren. Nach der Kurve waren meine Freundin und die beiden Kinder auf der Fahrbahn, meine Tochter auf dem Laufrad hat er fast niedergefahren."

Ausweichmanöver bestätigt

"Kann es sein, dass er Ihre Tochter nicht gesehen hat?", fragt Richter Böhm nach. "Ja, das kann sein", gesteht N. zu. Hätte seine Lebensgefährtin die Dreijährige nicht zur Seite gerissen, wäre es aber zur Kollision gekommen, ist er überzeugt. Wiewohl er bestätigt, dass der Angeklagte ausgewichen sei.

Die Kindesmutter hat das nicht bemerkt, behauptet aber im Gegensatz zu allen anderen Zeugen, sie habe die Dreijährige samt Laufrad über die Fahrbahn auf die andere Straßenseite gestoßen, was Böhm etwas unwahrscheinlich vorkommt. Zwei weitere Zeugen, Freunde des Paares, bestätigen die Version des Beinaheunfalls.

Einer davon erzählt noch, er habe den Fahrer zur Rede stellen wollen, "aber er hat nur durch mich durchgeschaut und ist dann weggefahren". B. habe aber keinen betrunkenen Eindruck gemacht.

Staatsanwältin zieht zurück

Selbst die Staatsanwältin glaubt nicht mehr an die Strafwürdigkeit des Vorfalls mit der Wickeltasche. Im zweiten Anklagepunkt hält sie an der Gefährdung fest, ob der Angeklagte die Gruppe aber tatsächlich nötigen wollte, die Fahrbahn zu verlassen, müsse das Gericht beurteilen.

Das beurteilt in Form von Böhm und spricht den Angeklagten rechtskräftig frei. "Der erste Punkt ist gar nix", begründet er. "Die zweite Situation hat sich für die Leute sicher dramatisch dargestellt, mir ist das selbst mit meinem Neffen einmal passiert." Aber der Richter glaubt daran, das B. ausgewichen ist, und stimmt mit Verteidiger Pfeiler überein, dass der Vorfall nicht für eine strafrechtliche Verurteilung reicht. (Michael Möseneder, 15.5.2016)