Graz/Seattle – In der Magnetosphäre der Erde spielen sich faszinierende Prozesse ab. Neue Erkenntnisse über den explosiven Prozess in der Magnetopause der Erde, also der äußeren Begrenzung der Magnetosphäre, liefert die NASA-Satellitenmission MMS. Unter Mitwirkung von Forschern aus Graz wurden nun im Fachblatt "Science" erste Ergebnisse publiziert.

Die Daten liegen für einen Durchflug der Magnetopause im Oktober 2015 vor. Damals flogen die Satelliten offenbar mitten durch die Geburtsregion einer Rekonnexion: "Für Plasmaphysiker ist das mit einem Lotto-Sechser zu vergleichen", sagte Wolfgang Baumjohann vom Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Abrupte Energiefreisetzung

Als Rekonnexion bezeichnet man in der Physik die abrupte Umwandlung der Energie magnetischer Felder in Strömungs- und thermische Energie. In Weltraumplasmen beeinflusst diese Energieumwandlung die Wechselwirkung zwischen dem Sonnenwind – dem Teilchenfluss, der von der Sonne abströmt – und dem Erdmagnetfeld und damit auch das sogenannte Weltraumwetter.

Dabei kann es zu Problemen etwa bei Satelliten, elektrischen Anlagen, bei der Funkkommunikation oder bei Navigationssystemen kommen. "Ein besseres Verständnis der Rekonnexion ist ein wichtiges Ziel für die Plasmaphysik der Erde und des Weltraums", betonten die Autoren unter Federführung von Jim Burch vom Southwest Research Institute in San Antonio (Texas).

Detaillierter Einblick

Im Vorjahr ist die NASA-Satellitenmission MMS (Magnetospheric Multiscale Mission) gestartet, um das Zusammenspiel zwischen den Magnetfeldern von Erde und Sonne genauer zu untersuchen. Nun wurden Daten ausgewertet, die die vier Satelliten in der Grenzregion zwischen dem Sonnenwind und der Erdatmosphäre gesammelt haben, so Baumjohann. Das Grazer IWF ist der größte nicht-amerikanische Partner der Mission und ist am Instrumentenbau wie auch der Datenauswertung beteiligt.

Das Besondere an der Mission ist der Maßstab, in dem die Magnetfelder untersucht werden: Die Forscher analysieren den dynamischen Prozess im Millisekundenbereich. "Erstmals konnten wir wie mit einem Mikroskop in das Entstehungsgebiet der magnetischen Rekonnexion blicken und quasi die Keimzellen für diesen wichtigen plasmaphysikalischen Prozess untersuchen", so der Wissenschafter.

Erste Direktbeobachtungen

Rekonnexion tritt auf, wenn sich zwei einander entgegengesetzte Magnetfelder in Plasmen zu nahe kommen. Die Feldlinien brechen auf, um sich anschließend neu zu formieren. Dabei werden explosionsartig große Mengen magnetischer Energie in andere Energieformen umgewandelt. Damit Rekonnexion stattfinden kann, müssen die Plasmen des Sonnenwindes und der Erdmagnetosphäre jedoch "entmagnetisiert" werden: "Das heißt, Plasma und Magnetfeld werden entkoppelt", wie Baumjohann erklärte.

Die Geräte auf den Satelliten messen laut IWF hundertmal schneller als frühere Missionen. Daher konnte das Verhalten der sehr kleinen und leichteren negativ geladenen Elektronen im Plasma, das bisher nur am Computer simuliert wurde, erstmals direkt beobachtet werden. (APA, 14.5.2016)