STANDARD: In einem Ihrer Tweets schreiben Sie: Die US-Republikaner haben Trump erschaffen. Wie meinen Sie das?

Mudde: Das überwiegende Narrativ in den USA und besonders bei den Konservativen lautet, Trump habe die Republikaner in Geiselhaft genommen. Ich habe mit dem Tweet auf einen Artikel Bezug genommen, der sagte: Die Grand Old Party (GOP) teilt nun dieselben Werte wie Trump. Meiner Meinung nach hatte die Parteibasis der Republikaner, die in den Vorwahlen abstimmt, diese Werte längst übernommen. Die GOP war in der vergangenen Dekade unglaublich opportunistisch und versuchte autoritäre, islamophobe und fremdenfeindliche Stimmungen aufzugreifen. Daran war natürlich das Parteiestablishment beteiligt. So wurde zuerst die Tea Party geschaffen, auf deren Erfolgswelle dann Leute wie Ted Cruz in den US-Kongress gespült wurden. Nun ist der Geist aus der Flasche. Der erste Geist war die Tea Party – und nun ist es Trump.

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Demonstranten vor der Zentrale der Republikaner in Washington sind offensichtlich unzufrieden mit dem Ausgang der republikanischen Vorwahlen.
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STANDARD: Ist den Republikanern diese Entwicklung entglitten? Was war der Grund dafür, diesen Weg einzuschlagen?

Mudde: Es hat viel mit dem System der Vorwahlen in den USA zu tun, die in vielen Bundesstaaten entscheidender als die landesweiten Wahlen sind. Dort wählt überwiegend der harte Kern der jeweiligen Partei. Bei den Republikanern sind diese Wähler eher rechts. Um dort also Stimmen zu bekommen, muss ein Kandidat während der Vorwahlen eher rechts punkten – und auch seine Politik danach ausrichten. Seit den 1970er-Jahren verfolgen die Republikaner außerdem ihre sogenannte Southern Strategy. Damit sollen Weiße in den südlichen Bundesstaaten angesprochen werden. Die Wähler in dieser Region waren lange Zeit für die Segregation, aber auch für die Demokratische Partei. Die Republikaner warben um diese Stimmen mit einer entschieden fremdenfeindlichen Kampagne, die sich vor allem gegen Schwarze richtete. Seit kurzem sind aber auch Hispanics und Muslime Gegner der Republikaner. Die Idee basiert darauf, so viele der "weißen" Stimmen zu bekommen wie möglich. Das geht natürlich nur auf Kosten der Stimmen der Hispanics und der Schwarzen.

STANDARD: Ist das eine langfristig kluge Strategie? Hispanics werden als Wählergruppe immer zahl- und damit auch einflussreicher. Kann es sich eine Massenpartei leisten, auf diese Stimmen zu verzichten?

Mudde: Nein, kann sie nicht. In gewissen Bundesstaaten haben die Republikaner diese Strategie auch schon verworfen, beispielsweise in Texas. Dieser Bundesstaat hat viele Politiker – George W. Bush war dafür ein gutes Beispiel –, die pro Hispanics agieren, weil sie wissen, dass ohne sie keine Wahl zu gewinnen ist. Das derzeitige Problem ist, dass zum einen Hispanics nicht oft zur Wahl gehen und sie zum anderen traditionell eher die Demokraten unterstützen. Wenn sich die Republikaner nun auf die Hispanics zubewegen, verärgern sie vielleicht weiße, fremdenfeindliche Wählergruppen. Bisher war die GOP nicht in der Lage, beide Wählergruppen zufriedenzustellen.

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Donald Trump wird als Präsidentschaftskandidat für die Republikaner antreten. Sein Erfolg beruht auch auf der Strategie der Republikaner in den vergangenen Jahrzehnten.
Foto: REUTERS/Jim Urquhart/File Photo

STANDARD: Die republikanische Parteielite wollte Trump offenbar nicht als Präsidentschaftskandidaten. Das konnte ihn allerdings auch nicht verhindern.

Mudde: Trump ist das Symptom, nicht das Problem. Ted Cruz war auch ein weit rechts stehender Kandidat. Die Republikaner müssen sich eingestehen, dass ein großer Anteil ihrer Basis für diese weit rechts stehenden Kandidaten stimmt. Wenn sie das nicht akzeptieren und Trump als singuläres Ereignis betrachten, wird dasselbe erneut passieren.

STANDARD: Die Attraktivität der politischen Ränder steigt – in den USA und in Europa. Woran liegt das?

Mudde: Genauso wie in Europa hat das auch in den USA mit dem Angebot des politischen Mainstreams zu tun. In Europa haben die Sozialdemokraten seit mehr als 20 Jahren kein überzeugendes Narrativ mehr. Aber auch die Konservativen haben ihre Geschichtserzählung verloren. Im Fall von Griechenland haben die Konservativen gewonnen und die Sparmaßnahmen durchgesetzt. Aber es wurde nicht als positive Geschichte erzählt, sondern als Zwang. Dasselbe gilt für das Thema Integration in Europa. Es gibt kein positives Migrationsnarrativ. Nun heißt es, wenn wir das nicht so machen, wie wir es machen, wird es nur schlimmer. Die politische Rechte dominiert auf diese Weise den Diskurs. Die Massenparteien nehmen diese Rhetorik auf und setzen ihr nichts entgegen.

STANDARD: Sehen Sie eine Chance, dass dieses positive Narrativ wieder in die Politik zurückkehrt?

Mudde: Nein. Ich bin diesbezüglich sehr pessimistisch. Es gibt keinen positiven Kern, aus dem sich ein neues Narrativ entwickeln kann. Die Sozialdemokratie stirbt vor unseren Augen. (Michaela Kampl, 13.5.2016)