Was Woody Allen und Cannes betrifft, ist das Dutzend endlich voll. Das macht die Beziehung zwischen dem New Yorker Filmemacher und dem Festival nicht unbedingt inniger. Viele Jahre lang, erzählte Allen dieser Tage einem Branchenblatt, habe er seine Filme bloß hierhergeschickt, sei aber selbst nicht über den Atlantik gekommen. Der Grund ist profaner Natur. Allen ist flugscheu, die Zeitzonendifferenz setze ihm zu. Er brauche jedes Mal ein halbes Jahr, um sich zu regenerieren.
Das Talent, aus jeder kleinen Schwäche eine Pointe herauszuholen, zeichnet seine Filme unbedingt aus. Daran hat sich in Café Society, seinem 47., nichts geändert, auch wenn er erstmals mit Amazon Studios produziert hat. Als Komödie, die zwischen Hollywood und der Bronx, zwischen seichten Partys, jüdischem Familienknatsch und beschwingten Jazzclubs mäandert und dabei über Sinn und Unsinn gesellschaftlicher Zusammenkünfte räsoniert, ist er wie gemacht für die Eröffnung eines Festivals. Er hält auch dem Treiben in Cannes, speziell dem blasierten Adabei- und Geschäftsjargon, einen Spiegel vor.
Romantische Verwicklungen
Allzu boshaft erscheint das Bild darin nicht. Café Society ist kein Film über das verderbliche Dasein in Tinseltown, sondern nutzt das Milieu als Kulisse für romantische Verwicklungen. Jesse Eisenberg spielt den Frischling Bobby, der von New York zu seinem Onkel Phil (Steve Carrell), einem Staragenten, kommt, um sein Glück im Filmgeschäft zu suchen.
Es sind die 30er-Jahre, eine Hochzeit der Traumfabrik, alle tragen helle Leinenanzüge, und die Sonne taucht die Gesichter in pfirsichfarbenes Licht (Kamera: Vittorio Storaro). Besonders verlockend scheint es auf Vonnie (Kristen Stewart), Phils überraschend hemdsärmelige Sekretärin. Sie zeigt dem jungen Mann die Villen jener Stars, an die sie selbst nicht mehr glaubt. Das Unvermeidliche passiert, Bobby schwärmt bald für die bodenständige Vonnie; doch diese ist bereits die heimliche Geliebte seines Onkels.
Die besten Szenen des Films spielen raffiniert und komisch mit dem unterschiedlichen Wissensstand der beteiligten Figuren. Oder lassen diese gleichsam zwei nebenher laufende Realitäten zugleich bedienen. Phil, den Carrell als zerrissenen Ehemann großartig pointiert verkörpert, erscheint dabei als interessantere Figur als der naiv-unschuldige Bobby, der in Eisenbergs Darstellung zu fahrig und hektisch wirkt. Ein wenig unterfordert ist Stewart als liebende Frau dazwischen, deren verträumten Blick der Film immer wieder in Großaufnahmen rückt.
Im Vergleich zu Allens jüngeren, vielfach in Europa entstandenen Arbeiten gehört Café Society gewiss zu den substanzvolleren. Zugleich wirkt er zu gehetzt, im Detail zu ungenau, um richtig zu überzeugen. Die erweiterte jüdische Familie, die im zweiten Teil des Films größeren Raum einnimmt, scheint Allen immerhin am Herzen gelegen zu sein. Der mafiöse Bruder Bobbys, seine feinnervige Mutter, die herrlich zeternden Großeltern – sie formieren sich zu einem treffenden Sittenbild.
Auswege aus der Bronx
Letztlich geht es in Café Society um die Frage, welche Lebensentwürfe geeignet sind, aus den ärmlichen Verhältnissen der Bronx herauszuführen. Die wichtigste Rolle spielt dabei soziale Kompetenz. Während der Bruder seine Widersacher in Zement gießt, führt Bobby die Menschen in seinem Club in New York galant zusammen. Die Liebe bleibt dennoch eine Sache des Glücks. Man muss den besten Moment erwischen, sonst sucht sie einen nur in Träumen heim. (Dominik Kamalzadeh aus Cannes, 11.5.2016)