Wien – ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hat sich am Dienstagabend etwas skeptisch gezeigt, ob ein Quereinsteiger ohne Regierungserfahrung sofort das Amt des Bundeskanzlers ohne weiteres ausüben kann. "Daher wollen wir uns ansehen, wer das ist, und für was er steht", sagte der Vizekanzler in der "ZiB2" des ORF zu der anstehenden Personalentscheidung beim Koalitionspartner SPÖ.

Mitterlehner gab zu bedenken, dass es beim Amt des Kanzlers um eine "andere Qualität" gehe als etwa bei einem Ministeramt. In den letzten 30 Jahren habe der Bundeskanzler zuvor stets Regierungsverantwortung inne gehabt, bevor er dieses Amt bekleidete. "Ich glaube, dass es für einen Quereinsteiger nicht so einfach ist", dass man das "von heute auf morgen" machen könne, so Mitterlehner. Denn ein Quereinsteiger habe ja etwa "das Regierungsprogramm nicht mitverhandelt".

Daher wolle sich seine Partei die Entscheidung der SPÖ ansehen – und die Standpunkte der vorgeschlagenen Person: "Das wollen wir mit dem neuen Kandidaten besprechen".

"Sehr anspruchsvoller Job"

Auf die Frage, ob er den wohl aussichtsreichsten Kandidaten – ÖBB-Chef Christian Kern und Medienmanager Gerhard Zeiler – ihre Qualifikation abspreche, wollte Mitterlehner nicht direkt antworten. "Ich würde mir einmal die Entscheidung anschauen und das dann bewerten. Es geht weniger darum, dass wir die Person infrage stellen. Ich glaube aber doch, dass das ein sehr anspruchsvoller Job ist, hier sozusagen aus dem Nichts einzusteigen in die Regierungsspitzenfunktion, das muss sich jeder selber vornehmen und das bewerten."

Die ÖVP wolle sich die Entscheidungen "einmal anschauen und uns mit Inhalten auseinandersetzen", sagte Mitterlehner. Seine Partei wolle wissen, "was der oder die Neue bringt". Denn die inhaltliche Frage sei "die entscheidende", betonte der Vizekanzler. "Da steht uns schon zu, das jetzt ins Spiel zu bringen", sprach Mitterlehner seine Forderungen – etwa die Fortführung des eingeschlagenen strikteren Kurses in der Flüchtlingsfrage – an.

Sollte der neue SPÖ-Chef von diesem Kurs abweichen, würde das Gesprächsbedarf ergeben: "Sagt uns jetzt der neue Kanzler, er möchte eine ganz andere Linie haben, ist das für uns sicher ein Grund für Beratungen. Hier gibt es wenig Verrückbares aus unserer Sicht, wenig Bewegliches", betonte Mitterlehner.

Lopatka kritisiert Kern

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka hat am Mittwoch explizit Kern kritisiert. Im Ö1-"Morgenjournal" bezeichnete Loptaka den derzeitigen ÖBB-Chef als "sehr teuren Manager". Als Kern 2010 seinen Job als ÖBB-Chef angetreten ist, habe der Zuschussbedarf der ÖBB 3,7 Milliarden Euro betragen. In der Zwischenzeit sei er auf über fünf Milliarden angestiegen. Kern habe höhere Gehaltsabschlüsse als im Öffentlichen Dienst und eine Reduzierung der Arbeitszeit zu verantworten, hielt der ÖVP-Klubobmann dem möglichen neuen SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler entgegen.

Der niederösterreichische SPÖ-Vorsitzende Matthias Stadler wies diese Kritik ebenfalls im Ö1-"Morgenjournal" zurück. Der Bürgermeister von St. Pölten wollte sich nicht auf solche Spielereien einlassen und sich nicht auf dieses Niveau begeben. Darüber hinaus hielt er fest, dass sich die SPÖ in der Vergangenheit auch nicht die Obmänner der ÖVP ausgesucht habe. (APA, 11.5.2016)