Beim Abgang Werner Faymanns stand das Gefüge in der österreichischen Sozialdemokratie auf dem Kopf: Mit einem Mal hat sich das Kräfteverhältnis in der Partei dramatisch verändert. Parteivorsitzende in den Ländern haben die Schwäche der SPÖ-Führung genutzt und in Wien ins Steuerruder der Partei gegriffen.

Die Genese von Faymanns Abgang zeigt, dass die Papierform in der SPÖ – die Macht sitzt im Osten – so nicht mehr stimmt. Die Dominanz des Wiener Zentrums ist ins Wanken geraten. Als potenziell einflussreichster Landesparteichef gilt, dank der stärksten Parteiorganisation im Rücken, zwar der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, und auch sein burgenländischer Kollege Hans Niessl zählt zu den Autoritäten. Doch die neue, durchaus schlagkräftige Front, die Faymann letztlich zum Rücktritt zwang, rollte aus dem Süden und dem Westen an.

Massiver Druck auf Länder

Die Landesparteien aus Kärnten, Vorarlberg, Salzburg und der Steiermark hatten sich, zum Teil entgegen anderslautenden öffentlichen Beteuerungen, für eine Vorverlegung des Parteitages von November auf vor den Sommer starkgemacht – mit dem unausgesprochenen Motiv, Faymann dort abzulösen. Doch der Parteichef wollte sich nicht kampflos geschlagen geben und schickte seine Vertrauten aus: Diese sollen alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um die Kritiker umzustimmen.

In den Ländern berichtet man von Anrufbombardements und massivem Druck. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, der sich als stilles Machtzentrum der Rebellengruppe neues Profil verschafft hat, sollte sogar mit dem Hinweis auf die dramatische Finanzsituation seines Landes weichgeklopft werden.

Kampfeslustige Abweichler

Doch all die Aktionen der Bundesparteiführung scheinen ebenso kontraproduktiv gewesen zu sein wie in Medien wie "Österreich" gestreute Meldungen über einen Faymann-Verbleib: Sie bestärkten die "Abweichler", sich das nicht gefallen zu lassen und den vorgezogenen Parteitag beim Vorstand am Montag durchzukämpfen.

Um diese Entscheidung zu erzwingen, mussten allerdings fünf Landesorganisationen dafür sein. Diese Mehrheit komplettierten schließlich die Niederösterreicher, deren Parteichef Matthias Stadler bei einem Treffen am Montagmorgen im Foyer des Wiener Hotels Schani vor dem entscheidenden Parteivorstand dabei war – trotz öffentlicher Parteinahme für Faymann noch am Wochenende. Stadler wollte womöglich nur etwaigen Überredungsversuchen der Bundeszentrale entgehen und gab für die Parteizentrale zwischenzeitig den loyalen "Faymann-Fan".

Aktionen under cover

Hinter den Kulissen, "under cover", sei viel mehr gelaufen, als in der Öffentlichkeit bekannt geworden sei, "es war gut, dass in den letzten Tagen nicht mehr allzu viel geredet worden ist", bemerkte der Vorarlberger SPÖ-Chef Michael Ritsch im STANDARD-Gespräch. Was die Wiener Parteizentrale wohl unterschätzt hat: Die nicht wirklich ernst genommenen "Provinzchefs" der SPÖ von Vorarlberg bis Salzburg gewannen durch den Schulterschluss mit den anderen Bundesländern mit einem Mal Selbstvertrauen und Macht. Sie realisierten, dass eben fünf Bundesländer ausreichen, um den Kurs zu verändern und ganz konkret einen Parteitag vorverlegen zu können. Mit allen Konsequenzen.

Die "Rebellen" schmiedeten schließlich Pläne, den Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser als interimistischen Parteichef einzusetzen. Einen entsprechenden Antrag konnte die Parteiführung "gerade noch" verhindern, hieß es.

Abgesehen vom Widerstand in den Ländern wird Faymann auch gespürt haben, dass der Rückhalt in der Gewerkschaft wegbrach. Dem sozialdemokratischen Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian kam im STANDARD-Interview vor dem Wochenende kein solidarisches Wort über die Lippen. Bau-Holz-Gewerkschafter Josef Muchitsch appellierte in einem offenen Brief an "Profil" sogar: "Werner, bitte lass los!"

Machtprobe im Vorstand

Faymann kam letztlich der Machtprobe im Vorstand zuvor: Er trat zurück, ehe ihn seine Gegner dazu zwingen konnten.

Eine unentschlossene Rolle spielte hingegen der Wiener Parteichef Häupl: Zwar soll auch er im Laufe der vergangenen Woche zum Schluss gekommen sein, dass Faymann nicht länger zu halten sei. Letztlich wartete Häupl aber offenbar ab, wie sich die Mehrheitsverhältnisse entwickelten. Zuletzt dürfte er davon ausgegangen sein, dass Faymann eben später, beim regulären Parteitag im November, weichen müsse.

Mit dem Rücktritt Faymanns sei jedenfalls "ein Schub in Richtung Demokratisierung der SPÖ" in Gang gekommen, sagt der steirische SPÖ-Chef Michael Schickhofer. In die kommenden Entscheidungen sei nicht nur die Bundesebene eingebunden, sondern auch "die Länder, die Gewerkschaften, die Frauen, die Jugend und Pensionisten". Schickhofer: "Die Karten sind jetzt neu gemischt." (Gerald John, Walter Müller, 11.5.2016)