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Google und Apple üben immer größeren Einfluss auf die US-Politik aus.

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Mike Lofgren gilt als profilierter Kenner der US-Politik.

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STANDARD: Ist das Silicon Valley die neue Wall Street, was den Einfluss auf die US-Gesetzgebung betrifft?

Lofgren: Google-Manager Eric Schmidt kann jährlich hunderte Millionen Dollar verdienen. Damit übersteigt sein Einkommen das von Vorstandsmitgliedern in der Finanzbranche. Gleichzeitig ist das Silicon Valley unerlässlich für den Sicherheitsapparat. Die NSA könnte ohne Kooperation mit IT-Konzernen – ob erzwungen oder nicht – gar nicht existieren.

STANDARD: Sie bezeichnen die IT-Branche als Knotenpunkt des "tiefen Staates". Was verstehen Sie unter diesem Begriff?

Lofgren: Dabei handelt es sich um politische Strukturen, die unabhängig von Wahlergebnissen existieren. George W. Bush hatte bestimmte politische Agenden, gegen die Barack Obama als Präsidentschaftskandidat ins Feld zog. Doch als Obama dann ins Weiße Haus einzog, ließ er Bushs Verteidigungsminister im Amt. Bemerkbar ist die Kontinuität etwa im Bereich nationale Sicherheit oder der Regulierung der Wall Street.

STANDARD: Vielleicht gibt es politische Sachzwänge, die diese Kontinuität erklären.

Lofgren: Eher gilt das "eiserne Gesetz der Oligarchie": Über längere Zeiträume ist es sehr schwierig, demokratische Institutionen zu erhalten, weil mächtige Akteure ihren Status quo erweitern oder erhalten wollen.

STANDARD: Warum wehrt sich die Bevölkerung nicht dagegen?

Lofgren: Das Sprichwort vom Frosch im kochenden Wasser, der die Gefahr nicht bemerkt, stimmt vielleicht in der Natur nicht – hier allerdings schon. Abgesehen davon gibt es kaum mehr investigativen Journalismus, weshalb die Menschen sich nicht mehr informieren können.

STANDARD: Ein komplexes Thema sind beispielsweise die Steuervermeidungspraktiken der IT-Firmen.

Lofgren: Hier gibt es gewaltige Unterschiede zwischen Individuen und Konzernen – ein Paradebeispiel für den Effekt des tiefen Staates. Sogar US-Amerikaner, die im Ausland leben, müssen Steuern zahlen. Für Konzerne gilt das nicht. Hunderte Milliarden Dollar gehen verloren, weil Apple und Co das Geld im Ausland bunkern.

STANDARD: Dabei bauen die Konzerne eine eigene Infrastruktur, etwa mit dem Google-Bus, der Pendler ins Hauptquartier bringt.

Lofgren: Ja, und dann kommen Menschen wie Bill Gates oder Mark Zuckerberg und jammern über den Zustand der US-Bildungsinstitutionen.

STANDARD: Warum schaut die Politik zu?

Lofgren: Ich denke, dass Wahlkampfspenden eine wichtige Rolle spielen. Außerdem ist die NSA absolut abhängig vom Silicon Valley. Man sieht ja, dass das FBI mit Apple keinen kurzen Prozess machte, sondern sich wochenlang öffentlich bekämpfen ließ.

STANDARD: Hat Sie der öffentliche Konflikt an sich nicht überrascht?

Lofgren: Die Reaktionen auf Snowden haben den Firmen gezeigt, dass sie Kunden verlieren, wenn sie diese nicht beschützen. Der Marktanteil zählt doch mehr als der gute Draht zu den Behörden.

STANDARD: Welche Rolle spielt die personelle Verflechtung zwischen der IT-Branche und Behörden?

Lofgren: Der Geheimdienstkoordinator James Clapper war früher bei Booz Allen, genau wie Edward Snowden. Die Firma ist zu 99 Prozent von Regierungsaufträgen abhängig und gehört einem Fonds der Wall Street. Das ist der "tiefe Staat" unter der Lupe. Ex-General David Petraeus, der nichts mit der Finanzbranche zu tun hat, landet jetzt auf der Wall Street – warum?

STANDARD: Die Frage ist, ob die Behördenleiter dann nicht Entscheidungen mit Blick auf eine Karriere im privaten Sektor treffen.

Lofgren: Oh, ganz eindeutig. Das ist nicht nur bei der NSA und dem Silicon Valley so, sondern auch im Pentagon. Man denke etwa an Entscheidungen für Flugzeuge. Eine Mehrheit der Generäle arbeitet später bei Rüstungsfirmen.

STANDARD: Im US-Präsidentschaftswahlkampf spielen Außenseiter wie Sanders und Trump eine überraschend große Rolle. Ist hier der tiefe Staat im Bröckeln, oder würde er diese Bewerber schlucken?

Lofgren: Das ist schwierig zu sagen. Sanders oder Trump würden sicher einiges aufrütteln. Das Establishment wollte, dass Clinton gegen Jeb Bush antritt – also Cola gegen Pepsi. Der Erfolg der Underdogs zeigt, dass die Menschen zumindest fühlen, dass etwas schiefläuft.

STANDARD: Gibt es einen Ausweg aus dem kaputten System?

Lofgren: Es ist ein Henne-Ei-Problem: Um eine Oligarchie zu etablieren, ist Apathie nötig. Um sie zu durchbrechen, muss die Apathie beseitigt werden. Es ist offen, ob sich etwas ändern wird. (Fabian Schmid, 10.5.2016)