Die Gezilla-Videoinstallation des türkischen Medienkünstlers und Aktivisten Serhat Köksal aka 2/5BZ ist Teil der Schau "Moment/Movement", die derzeit in Wien zu sehen ist.

Foto: Serhat Köksal / 2/5BZ

Performance mit Soundinstallation "Der Bruch" von Aybike Kaya.

Foto: Aybike Kaya

Installation von Fatih Aydogdu.

Foto: Fatih Aydogdu

Wien – Der Aachener Friedenspreis 2016 geht an die türkische Initiative Akademiker für den Frieden, wie am Montag bekannt wurde. Mehr als 2.000 Wissenschafterinnen und Wissenschafter unterschrieben im Jänner die Petition mit dem Titel "Ich werde nicht Teil dieses Verbrechens sein", in der die Regierung aufgefordert wurde, den Militäreinsatz in den kurdischen Gebieten zu beenden. Die Folge waren massive Drohungen, Disziplinarverfahren, Verhaftungen und Anklagen.

Einer der Unterzeichner ist Çetin Gürer. Er studierte in Hamburg Soziologie und Politikwissenschaft und promovierte 2015 an der Universität Ankara. An der Universität Nisantasi forschte er zur Situation der Kurden, Demokratie und Regionalautonomie. Bis vor kurzem – wegen seiner Teilnahme an der Akademikerkampagne wurde er entlassen.

Gürer ist einer der Vortragenden der Konferenz "Gezi – Before and After – 2013–2016", die noch bis Freitag an der Akademie der bildenden Künste in Wien stattfindet. Er analysiert die Frage, warum die Petition die Regierung und Staatschef Erdogan zu einer derart heftigen Reaktion provozieren konnte.

Sprechen wird auch Foti Benlisoy, Theoretiker, Anwalt und Aktivist. Er war Teil der ersten Demonstranten, die im Mai 2013 den Gezi-Park am Taksim-Platz in Istanbul besetzten, um sich gegen die Verbauung des Parks zu stellen. Daraus erwuchs bekanntlich eine breite Protestbewegung, und Gezi wurde zu einem Symbol für den Widerstand gegen die türkische Regierung und ihr autoritäres Vorgehen gegen Journalisten, Kurden und Oppositionelle.

Protest und Pattsituation

Mittlerweile beschäftigt sich Benlisoy mit der höchst aktuellen Frage der Rolle der Türkei in Syrien und damit, wie Erdoğan und seine AKP das Kriegsengagement nutzen, um ihre Position innerhalb der Türkei zu stärken. Dieser Bogen – vom Gezi-Protest als Aufschrei gegen die herrschende politische Ordnung bis hin zur aktuellen Pattsituation zwischen der Türkei und der EU in Sachen Flüchtlingspolitik und Menschenrechtsfragen – bildet den Hintergrund der Tagung.

"Wir wollen eine Diskussionsplattform eröffnen, um Fragen zu erörtern, die weit über Gezi hinausgehen. Welche gesellschaftlichen Veränderungen haben die Proteste bewirkt? Was ist der Stellenwert von öffentlichem Raum? Was ist der Status von Europa in der Flüchtlingsfrage, was der spezifische Status der Türkei? Das sind Fragen, die Bürger in ganz Europa betreffen, nicht nur in der Türkei", sagt Marina Grzinic, Leiterin des Fachbereichs Konzeptionelle Kunst an der Akademie der bildenden Künste und Hauptorganisatorin der Veranstaltung.

Doch was bewegt Künstler wie Marina Grzinic, die Videokunst macht, sich mit derart hochpolitischen Themen zu befassen? "Wir haben heute die paradoxe Situation, dass Politik selbst immer entpolitisierter wird, während es für die konzeptionelle Kunst zentral ist, politische, soziale und kulturelle Fragen aufzuwerfen – durch Interventionen im öffentlichen Raum und Projekte, die sich etwa mit Migration, Minderheiten oder dem Schulsystem beschäftigen", sagt Grzinic.

Eine Bandbreite des Schaffens zu Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Politik zeigt die Ausstellung "Moment/Movement", die parallel zum Symposium in der Akademie der bildenden Künste gezeigt wird. 24 Künstlerinnen und Künstler mit türkischen Wurzeln wurden eingeladen, ihre Perspektiven auf die Themen Widerstand und Protest darzulegen. Zum Abschluss gibt die deutsch-türkische Formation EsRap ein Hip-Hop-Konzert. "Es war nicht unser Anliegen, noch einmal die Gezi-Bewegung zu reproduzieren oder zu romantisieren", sagt Co-Organisatorin und -Kuratorin Betül Küpeli. "Wir wollen einen Konnex zu Europa und den Migrationsfragen schaffen."

Politische Positionen

Wie sich die politischen Spannungen im türkischen Film niedergeschlagen haben, legt Zeynep Tül Akbal Süalp in einem Vortrag dar. Die Psychologin, Soziologin und Filmwissenschafterin konzentriert sich dabei auf die Lage der Arbeiter und feministische Aspekte. Eine historische Perspektive eröffnet hingegen Göksun Yazici, die die Besetzung von Gezi-Park und Taksim-Platz mit der Pariser Kommune vergleicht. Die Aktivistin wird auch direkt über ihre Arbeit mit Asylwerbern an der türkisch-syrischen Grenze berichten. "Es war uns wichtig, politische Positionen direkt aus der Türkei zusammenzubringen, von Wissenschaftern, Künstlern und öffentlich aktiven Intellektuellen", betont Marina Grzinic.

Doch was ist geblieben von Gezi? "Wo früher ein belebter Treffpunkt war, ist heute eine bereinigte Betonwüste", schildert die Architektin Betül Küpeli. "Es ist zu einer stärkeren Militarisierung, Überwachung und Aneignung des öffentlichen Raums durch den Staat gekommen." Selbst die Ästhetik des Widerstands, Symbole und Sprache, seien von der Werbung sowie von Regierungssympathisanten vereinnahmt worden. Grzinic resümiert: "Wir wollen eine Repolitisierung des Diskurses." (Karin Krichmayr, 11.5.2016)