Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl am Montag.

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Faymanns Rücktrittserklärung.

Bundeskanzler Faymann

Michael Häupl nach dem Parteivorstand am Montag.

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Reinhold Mitterlehner am Montag bei Heinz Fischer. Der ÖVP-Chef übernimmt einstweilen die Amtsgeschäfte des Regierungschefs.

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Werner Faymann und Josef Ostermayer nach dem SPÖ-Vorstand.

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Die Bundeskanzler der Zweiten Republik.

Nach dem sofortigen Rücktritt von Kanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann am Montag hat Bundespräsident Heinz Fischer ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner mit den Geschäften betraut. Der Vizekanzler stellt für den nächsten Regierungschef, den weiterhin die SPÖ nominieren soll, Bedingungen. Zwar sehe er keinen Grund für Neuwahlen, und die Wahl des neuen SPÖ-Vorsitzenden sei eine Angelegenheit des Koalitionspartners. Aber wer als Kanzler von der ÖVP akzeptiert werden wolle, dürfe nicht vom gemeinsamen Kurs in der Asylpolitik abrücken, stellte Mitterlehner klar. Wichtig sei für die Regierung nun, dass "wir stabil bleiben, was die Arbeit anbelangt".

Der Schwenk in der Flüchtlingspolitik ist in der SPÖ höchst umstritten und schwächte Faymanns Rückhalt in der Partei, was zu seinem überraschenden Rücktritt beitrug. Am Dienstagabend tritt der ÖVP-Vorstand zusammen, um über die neue Lage zu befinden. Auch bei der Wirtschaftsorientierung der Koalition fordert Mitterlehner eine Neuaufstellung in der Nach-Faymann-Ära.

Kanzler ohne Rückendeckung

Kurz vor 13 Uhr machte Faymann am Montag alles klar und beendete die Spekulationen der letzten Tage. "Hat man die volle Rückendeckung, einen starken Rückhalt in der Partei? Das muss ich Ihnen mit Nein beantworten. Dieser starke Rückhalt ist verlorengegangen. Die Mehrheit ist zu wenig, trotzdem bedanke ich mich bei allen Mitstreitern, die in diesen Tagen zu mir gestanden sind", sagte Faymann in einem Statement vor Journalisten im Bundeskanzleramt. "Ich ziehe aus diesem zu geringen Rückhalt die Konsequenzen, lege meine Funktionen als Bundesparteiobmann und Bundeskanzler mit dem heutigen Tag zurück."

"Es braucht einen Neustart", sagte Faymann. Dem Statement war ein Treffen mit einigen der SPÖ-Landeschefs vorangegangen. Faymann habe zuerst seine Familie informiert, erklärte er, dann seine politischen Freunde. Auch Mitterlehner habe er von seinem Rücktritt vorab in Kenntnis gesetzt. Bundespräsident Fischer wurde am Vormittag von Faymann telefonisch davon informiert, dass er seine Ämter zurücklegt.

Die Spekulationen über einen Rückzug hatten in den vergangenen Tage die Innenpolitik beherrscht, dennoch waren viele in der Partei, auch enge Gefolgsleute, regelrecht überrumpelt davon, als Faymann schließlich seinen Entschluss kundtat. Noch am Sonntag waren viele Parteifreunde und einige Medien davon ausgegangen, dass Faymann auch diese Krise aussitzen würde. Allerdings waren in den vergangenen Tagen immer mehr Gefolgsleute und Parteifreunde auf Distanz gegangen. Aus den Bundesländern kamen mehr oder weniger unverblümte Rücktrittsaufforderungen, auch Gewerkschafter äußerten offen ihre Skepsis über die Führungsqualitäten des Kanzlers und Parteichefs.

Desaströse Wahl

Den Auslöser für die parteiinterne Debatte lieferte das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl, bei der SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer, ein enger Vertrauter Faymanns, mit 11,3 Prozent ein desaströses Ergebnis ablieferte. Die Debatte über die Rolle Faymanns ließ nicht lange auf sich warten. Das Pfeifkonzert der Genossen auf dem Wiener Rathausplatz beim traditionellen Aufmarsch am 1. Mai während Faymanns Rede war für diesen ein einschneidendes Erlebnis.

Schon am Tag nach der Wahl hatte es eine Rücktrittsaufforderung gegeben. Die Wiener Abgeordnete Tanja Wehsely kritisierte den Bundespräsidentenwahlkampf als "vernudelt", Faymann als Kanzler "gehe sich nimmer aus". Die Landtagsabgeordnete ist zwar kein Schwergewicht in der Partei, steht aber symptomatisch für den Riss, der durch die Wiener SPÖ geht.

Häupl von Rücktritt überrascht

Wiens Bürgermeister Michael Häupl sollte die Gräben wieder zuschütten und eine gemeinsame Linie finden. Die dürfte er – zumindest was den Parteivorsitzenden betrifft – nicht gefunden haben. Bis ein Nachfolger gefunden wird, übernimmt der mächtige Landeschef selbst die Partei. Häupl war aber ziemlich überrascht von Faymanns Rücktritt, er habe erst im Kanzleramt davon erfahren. Am Montagabend sagte Häupl nach der Sitzung des SPÖ-Vorstands: "Ich habe mir diesen Tag nicht gewünscht." Er glaube, dass auch viele persönliche Argumente hinter Faymanns Rückzug gestanden seien. "Das ist zu respektieren." Zum Parteiprogramm werde es eine Mitgliederbefragung geben. Ausschließen könne er, dass dabei gefragt werde, ob Koalitionen mit der FPÖ eingegangen werden sollen.

Eine Warnung sprach der Wiener Bürgermeister in Richtung ÖVP aus: "Es ist nicht auszuschließen, dass die ÖVP die Situation der SPÖ ausnutzt" und in Neuwahlen gehe. "Ich kann davon nur abraten." Die SPÖ sei jedenfalls vorbereitet: "Wir bereiten uns auch auf solch ein Szenario vor."

Essen ohne Faymann

Andreas Schieder, roter Klubobmann, zeigte sich irritiert über Faymanns Rückzug. Er habe erst auf dem Weg zum Mittagessen mit Fischer vom Wechsel an seiner Parteispitze erfahren. Faymann selbst nahm an diesem Essen gar nicht mehr teil. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid verließ das Bundeskanzleramt am Montag etwas wehmütig mit den Worten, dass er sich vor Faymann verneige. Der hatte die Tage davor noch zu einem Abstecher an den Lido vor Venedig genützt, seinen Lieblingsurlaubsort. Gemeinsam mit Gattin Martina Faymann-Ludwig nutzte er die Spaziergänge offenbar zum Nachdenken über seine Lage. Zuvor hatte er betont: "Rechnen Sie weiter mit mir."

Vertraute wie Kanzleramtsminister Josef Ostermayer, sein Wegbegleiter über viele Jahre, waren noch ausgerückt, um die Stimmung zu beruhigen und für einen Verbleib Faymanns zu kämpfen – offenbar vergeblich. Im Gespräch war unter anderem, dass eine rote Strategiegruppe darüber diskutieren solle, wie man es künftig auf Landes- und Gemeindeebene mit den Freiheitlichen halten wolle.

Kaiser gegen Mitgliederabstimmung über Parteichef

Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden äußerte am Abend im ORF-Interview Vorbehalte gegenüber einer entsprechenden Mitgliederbefragung. Und stellte klar, dass die FPÖ "eine politische Größe" sei, "an der die SPÖ nicht mehr vorbeikommt" – allerdings gehe sich auf Bundesebene wohl nur mehr Blau-Rot aus –, "und das wird bei uns kein Parteitag beschließen".

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser hielt in der "ZiB 2" fest, dass eine Urabstimmung der Mitglieder über Faymanns Nachfolger "keine geeignete Form" sei, wohl aber könne er es "eine Vorstellung" der möglichen Faymann-Nachfolger in den Gremien geben. Für den Parteitag Ende Juni stellte er in Aussicht, dass dort ein Beschluss erfolgen könnte, der das Diktum "Keine Koalition mit der FPÖ" ersetzt.

Mitterlehner übernimmt Amtsgeschäfte

Erst einmal übernimmt Vizekanzler Mitterlehner, er wurde von Bundespräsident Fischer mit der Führung der Geschäfte des Bundeskanzlers betraut. Fischer geht davon aus, dass die Entscheidung über einen neuen Kanzler Mitte nächster Woche fallen wird. Mitterlehner bekräftigte anschließend, dass die ÖVP derzeit nicht vorhabe, die Koalition aufzukündigen: "Es geht jetzt nicht darum, dass wir Neuwahlen ansetzen", es gehe um Stabilität. (Lisa Kogelnik, Marie-Theres Egyed , Michael Völker, 9.5.2016)