Jetzt ist ÖVP-Obmann Mitterlehner interimistischer Regierungschef. Vor dem schwarzen Vorstand am Dienstag stellte er erste Bedingungen für den neuen roten Kanzler.

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Wien – Ähnlich wie die SPÖ-Granden waren die ÖVP-Spitzen Montagmittag von Werner Faymanns Abgang als Kanzler und SPÖ-Chef überrascht. "Wir sitzen derzeit wie gebannt vor dem Internet und wissen nicht mehr als ihr", witzelte ein Funktionär in Anspielung auf den Livestream aus dem Kanzleramt.

Kurz vor der öffentlichen Bekanntgabe seines Entschlusses hatte der scheidende Regierungschef den Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner persönlich informiert. Nachdem Präsident Heinz Fischer Faymanns Demissionierung unterschrieben hatte, beauftragte er vorläufig Mitterlehner mit der Fortführung der Geschäfte.

Vieles ist möglich

Doch zu diesem Zeitpunkt stand für die ÖVP-Führung längst fest, dass am Dienstag der schwarze Vorstand schleunigst zusammentritt – und zwar um die Lage der rot-schwarzen Koalition schonungslos zu bewerten. Ein Insider zu dem einberufenen Krisentreffen: "Vieles ist dort möglich."

Zur Erinnerung: Mitterlehner selbst hat einen fliegenden Wechsel zur FPÖ bisher stets ausgeschlossen, aber im Herbst empört angeprangert, dass Rot-Schwarz nicht mehr so weiterwurschteln könne. Derzeit hätte Schwarz-Blau mit 50 plus 38 Abgeordneten aber gar keine Mandatsmehrheit im Parlament, denn dafür wären 92 Abgeordnete nötig.

Flüchtlingspolitik nicht verhandelbar

Offiziell teilte Mitterlehner mit, dass er in Faymanns Rücktritt als SPÖ-Chef keinen Grund für Neuwahlen sehe, wohl aber wolle man beim nächsten Kanzler ein Wörtchen mitreden (für die ÖVP sei eine Zustimmung "keine Automatik"), denn: "Wichtig ist, dass wir stabil bleiben, was die Arbeit anbelangt."

Das Urteil der bürgerlichen Granden über Wohl und Wehe des Neuen hängt laut Parteikennern eng damit zusammen, wen die Sozialdemokraten nach Michael Häupls interimistischer Führungsübernahme zu Faymanns Nachfolger küren. Weil er als SPÖ-Chef bei den Genossen unter anderem wegen seines strikten Asylkurses à la ÖVP unter Beschuss geraten war, ist für den kleineren Koalitionspartner daher klar, dass man keinen Zentimeter vom mühsam errungenen Kurs in der Flüchtlingspolitik abrücken wird. Ein ÖVPler: "Das ist vereinbart, dabei bleibt es – und das ist womöglich eine Hürde für Faymanns Nachfolger, über die wir nicht anders drüberkönnen."

Liste an Bedingungen

Mitterlehner selbst erklärte dazu: "Ich gehe davon aus, dass wir diesen Kurs ohne Veränderung fortsetzen." Was der ÖVP-Obmann ebenfalls als unverhandelbar ausrief: dass die Regierung eine Neuaufstellung in puncto Wirtschaftsorientierung und weniger Bürokratie brauche.

Obwohl die ÖVP wegen des eigenen Debakels an Wahlen kaum Interesse haben kann: Ein vorgezogener Urnengang könnte wegen vorgeschriebener Fristen erst im September stattfinden. Die dafür nötigen Formalien – wie Nationalrats- und Ministerratsbeschluss – könnten aber gleich nach der Präsidentenstichwahl erledigt werden. (Nina Weißensteiner, 9.5.1016)