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Wann immer sich Großbritannien von Europa abgewandt habe, hätten beide Beteiligten schlecht ausgesehen, sagt der britische Premier David Cameron, der für einen Verbleib in der EU wirbt.

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Mit einer eindringlichen Warnung vor Isolationismus hat Premierminister David Cameron am Montag die letzte Phase des Abstimmungskampfs um Großbritanniens EU-Verbleib eingeleitet. Wann immer sich die Insel vom Festland abgewandt habe, hätten beide Beteiligten schlecht ausgesehen. "Von Cäsars Legionen bis zum Spanischen Erbfolgekrieg, von den Napoleonischen Kriegen bis zum Fall der Berliner Mauer – Britannien ist immer eine europäische Macht gewesen, so stolz wir auch auf unsere weltweiten Verbindungen sind", sagte der Regierungschef.

Das Lager der Befürworter eines Brexit und die Anhänger eines Verbleibs in der EU hatten sich zuletzt auf die Regional- und Kommunalwahlen am Donnerstag konzentriert. Nun, da sämtliche Ergebnisse ausgezählt und analysiert sind, tritt das Referendum in gut sechs Wochen uneingeschränkt an die Spitze der politischen Aufmerksamkeit. Verschämt hat die Regierung noch einige Streitthemen ausgeräumt, die für anhaltenden Zoff mit den eigenen Hinterbänklern zu sorgen drohten. So musste die Bildungsministerin Nicky Morgan eine erst vor wenigen Wochen angekündigte Reform der Schulen einkassieren, die den Kommunalregierungen jeglichen Einfluss genommen hätten. Auch gab Cameron dem Drängen von Flüchtlingsorganisationen nach. Demnächst sollen einige Hundert, womöglich sogar mehrere Tausend unbegleitete Kinder aus Syrien in Großbritannien aufgenommen werden.

Brexit-Gegner betonen Überparteilichkeit

Pikanterweise ließ der Premierminister seine Rede vom früheren Labour-Außenminister David Miliband, Sohn zweier vor Hitler Geflohenen, einleiten. Damit sollte nicht zuletzt die Überparteilichkeit der EU-Befürworter zum Ausdruck gebracht werden. Ebenfalls am Montag veröffentlichte die Lobbygruppe ein neues Video, in dem Veteranen des Zweiten Weltkriegs zu Wort kommen. Unter anderem berichtet der spätere Chef des Verteidigungsstabs, Feldmarschall Edwin Bramall (93), von seinen Erfahrungen. Im Fall eines Brexit-Votums "würden wir uns zurückbewegen, statt wie damals die Wunden zu heilen", glaubt der General. Das Video richtet sich nicht zuletzt an die Altersgenossen der Veteranen. Einer Ipsos-Mori-Umfrage zufolge wollen nur 30 Prozent der Briten im Alter über 65 Jahre an der EU-Mitgliedschaft festhalten.

Britain Stronger In Europe

Die internen Befragungen der beiden Lager scheinen ein eindeutiges Bild zu ergeben. Während bei Brexit-Anhängern die bessere Kontrolle der Einwanderung, besonders aus EU-Staaten, als wichtigstes Argument genannt wird, spielt für den Verbleib im Club das Thema Sicherheit die wichtigste Rolle. Dabei geht es um militärische Sicherheit ebenso wie um die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit. Finanzminister George Osborne sprach mit Blick auf Donald Trump am Sonntag von Politikern, die mit dem Zorn der Leute spielen. "Wer sich von der modernen Weltwirtschaft abschottet, macht einen Riesenfehler. Die Leute mit niedrigen Löhnen leiden darunter am meisten." Der enge Cameron-Vertraute geißelte außerdem den Vorschlag des Kabinettskollegen und EU-Feinds, Justizminister Michael Gove, der Großbritanniens Verbleib im Binnenmarkt für verzichtbar hält. "Das wäre eine Katastrophe für die Jobs und den Lebensstandard der Leute", sagte Osborne.

Kampagne "mit Angstfaktor"

Die EU-feindlichen Zeitungen geißelten auch am Montag wieder Camerons und Osbornes Argumente als Ausdruck einer mit dem Angstfaktor spielenden Kampagne. Aus den Äußerungen des Premierministers schlossen sie, der konservative Parteichef warne "vor dem Risiko eines Weltkriegs", behauptete die "Times". "Es wäre schön, wenn die Regierung die Wählerschaft wie Erwachsene behandeln würde", höhnte das einflussreiche Boulevardblatt "Daily Mail". Auch der emeritierte Erzbischof von Westminster, Kardinal Cormac Murphy-O'Connor, mahnte eine positivere Kampagne an. Allerdings gipfelte ein Artikel des Kardinals in der Intellektuellenpostille "Spectator" in dem nicht gerade übermäßig positiven Argument: "Europa braucht Erneuerung, und ein Austritt Großbritanniens würde dies erschweren."

Die EU-Befürworter hoffen auf neuen Schwung durch jene Parteiaktivisten von Labour sowie schottischer und walisischer Nationalisten, die bis Donnerstag mit dem Wahlkampf beschäftigt waren. Allerdings hat die ganz heiße Phase noch nicht begonnen. "Die machen jetzt erst mal eine oder zwei Wochen Pause", glaubt der frühere Labour-Abgeordnete Nick Palmer. Erst in den vier Wochen vor dem 23. Juni werde das Rennen entschieden. (Sebastian Borger, 9.5.2016)