Knapp 4,5 Minuten dauert die Fahrt zwischen den Stationen Gumpendorfer Straße und Burggasse/Stadthalle.

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Am langen Wochenende erreichte ein stimmiger, gelungener und ehrlicher Blogeintrag von Thomas Rottenberg die interessierte Leserschaft. Er handelt von einer zwei Stationen langen Fahrt mit der U6.

Rottenberg lässt uns tief in ein Milieu blicken, das gerade im großen Umbruch ist. Wie gut die Beobachtungen und die daraus hervorgehenden Rückschlüsse den Nerv der Zeit treffen, zeigt auch die stürmische Begeisterung, die der Blogeintrag unter jenen ausgelöst hat, die sich in der politischen Mitte oder links davon sehen. Der linke Bildungsbürger fühlt sich in Rottenbergs Parabel erkannt und verstanden. Der Autor habe "genau hingeschaut", heißt es.

Verdichtete Erzählung

Rottenberg, der sonst nie U6 fährt, hat geschaut und hat Elend und Schmutz gesehen und gerochen. Er hat die wachsende Drogenszene in Wien quasi live beim Wachsen beobachtet. Er hat minderjährige Prostituierte und Obdachlose gesehen und wurde von Ausländern angepöbelt. Zwei kurze Stationen lang, zwischen den Haltestellen Gumpendorfer Straße und Burggasse/Stadthalle, hat er in die hässliche Fratze der Armut, der Kriminalität und des sozialen Elends geblickt. Zugegeben, in Rottenbergs Beitrag kommen die Szenen und die Dialoge etwas verdichtet daher, aber wer schon einmal mit der Gürtellinie gefahren ist, wird bestätigen, dass es ab und zu so oder so ähnlich zugeht. Und zwar schon sehr, sehr lange. Für jene, die mehr als einmal im Jahr oder regelmäßig mit dem öffentlichen Verkehrsmittel entlang des Gürtels durch Wien fahren, sind diese Szenen nicht neu.

"Osteuropäische Typen"

Neu ist allerdings, dass sich plötzlich auch die wohlhabende Mittelschicht, die sich bisher selbst als links bezeichnet hat, fürchtet, besorgt zeigt und an ihrer bisherigen politischen Ausrichtung zweifelt. Und Rottenberg zustimmt, wenn er die Protagonisten seiner U6-Geschichte von "jenen" erzählen lässt, die "Plätze besetzen und jeden, der nicht wegschaut, aggressiv angehen", von "osteuropäischen Typen", die in gebrochenem Deutsch unschuldige Vorbeigehende anpöbeln.

Und dann werden noch verachtend "die Faschos, die Hofers, die Straches und Kickls" erwähnt, zu denen es angeblich keine Alternative gibt. Und alle nicken besorgt und betroffen – ohne zu merken, dass sie ihre Rhetorik teilweise angenommen und sich vor lauter "Ängste ernst nehmen" mit der Angst und Menschenverachtung bereits angesteckt haben.

Paternalismus und Aperol-Spritz

Nein, die Rechtspopulisten zeigen keine Probleme auf, nicht einmal die richtigen Symptome zählen sie auf. Und eine Lösung für die Armut, wachsende Drogenszene und die daraus wachsende Kriminalität einer Großstadt haben sie auch nicht. Sie haben und hatten auch nie eine Antwort auf die Herausforderungen einer Einwanderungsgesellschaft, die wir nun mal sind.

In dieser Einwanderungsgesellschaft hat sich die grün-wählende, wohlhabende, privilegierte Schicht doch bis vor kurzem ganz wohl gefühlt. Sie hat nicht selten paternalistisch und ungefragt für die Migranten und ihre Nachkommen Wort ergriffen, hat den rechts wählenden "Pöbel" verachtet und beim Aperol-Spritz am Brunnenmarkt das Empowerment-Potenzial der Brunnenpassage-Projekte analysiert. Wann ist aus dem "Wir dürfen das Thema nicht den Rechten überlassen" doch ein resignierendes und feiges "Zu den Rechten gibt es keine Alternative" geworden?

Sehr weit war es wohl mit dem aufgeklärten, solidarischen und sozialkritischen Weltbild nicht her, wenn eine zwei Kilometer lange Fahrt mit der U6 reicht, um es in Grund und Boden zu erschüttern. (Olivera Stajić, 8.5.2016)