Der selbstfahrende Mercedes-Benz F 015 feierte im September seine Europapremiere.

Foto: APA / Mercedes Benz

Es wäre fatal, die Zukunft einfach aus der Vergangenheit hochzurechnen, so etwas hat noch nie funktioniert, sinngemäß also das Auto einfach ohne Lenkrad weiterzudenken. Alles bliebe gleich, nur der Motor wäre ein Elektromotor, und den Weg würde das Auto ohne grobes Zutun des Fahrers allein finden.

Mancherorts wird in dieser Denkschleife bereits der Sieg der Elektronik über den Maschinenbau gefeiert, sozusagen die Abschaffung des Lenkrads als Zertrümmerung einer überkommenen Ideologie. So einfach ist es aber nicht.

Denn die Frage sollte erlaubt sein: Genügt es, das Auto, so wie es ist, Geisterhänden zu überlassen, oder sollte man nicht die ganze Mobilität gleich ressourcenschonend, effizient und glücklich machend neu organisieren? Dabei können Vehikel, die keiner mehr persönlich lenkt, durchaus eine Rolle spielen.

Das Ende der Individualität

Mobilität wurde bisher überwiegend über das Auto definiert. Der materielle Vorteil für die Gesellschaft war immer weit größer als die Kosten für die Errichtung der Infrastruktur. Staatlicher Straßenbau und privates Automobilgeschäft griffen gut ineinander und funktionierten wie ein ökonomisches Perpetuum mobile.

Autos und Treibstoff und Straßen im Überfluss haben uns fehlsichtig in Bezug auf eine optimale Nutzung der Ressourcen gemacht. Jetzt geht uns alles langsam aus: Platz, Treibstoff, Luft. Das heißt, individuelle Mobilität kann und wird sich in Zukunft nicht mehr vorwiegend auf das Auto stützen.

Der wahre Wendepunkt ist also nicht etwa der Ersatz des Verbrennungs- durch einen E-Motor und des Lenkers durch künstliche Intelligenz. Es geht vielmehr um neue Möglichkeiten für die Mobilität durch die Kommunikations- und Informationstechnologie. Darum greifen einzelne Fahrzeugmodelle, die ohne Lenker den Weg finden, zu kurz, egal ob sie von einem IT-Konzern oder einem Autohersteller stammen.

Ein wesentlicher Fokus in vielen Diskussionen ist der intermodale Verkehr. Intermodaler Verkehr bedeutet im Wesentlichen nichts anderes als die Zusammenführung vieler Erfolgsmodelle aus mehreren Denkwelten mithilfe von Kommunikationstechnologie.

Nutzung nach Bedarf

In der Auflösung der Grenzen zwischen öffentlichen und individuellen Verkehrsmitteln liegt offenbar die Zukunft der Mobilität. Das als Chance zu sehen fällt der Autoindustrie nicht immer leicht.

Ein bereits lebendiges und doch noch recht simples Beispiel sind Car2Go (Daimler) und Drive Now (BMW), also die Smarts, Minis und BMWs, die in einigen Großstädten rumstehen und die man nur bei Bedarf benutzt. Das sind im Grunde Taxis, bei denen der Fahrer eingespart wurde. Doch ohne Smartphone wäre das ganze Verleihsystem nicht zufriedenstellend organisierbar.

Besonders schwer tut sich mit der Neuordnung dieses Zugangs jedenfalls der Homo automobilicus, also jener Teil der Menschheit, der mit dem Auto aufgewachsen ist und für den der Besitz eines schönen Autos als eines der Lebensziele und vielleicht sogar -inhalte galt. Und jetzt das: Das Automobil, bisher profundes Gerät zur Abgrenzung, soll integrativer Bestandteil eines großen Ganzen namens Mobilität werden.

Rasante Veränderungen

Verknüpft man die traditionellen Werte des Automobils mit den Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien, ergibt dies eine regelrechte Explosion an Variablen und Denkvarianten, an erquicklichen Perspektiven, aber auch erheblichen Risiken. Das betrifft die Funktionssicherheit, aber auch eine wohlgeordnete Verwaltung der Datenmengen, die im Sinne einer Durchautomatisierung des Verkehrs unverzichtbar ist.

Beide Wege werden also noch sehr spannend: Die traditionellen Autohersteller wollen, ja müssen sogar an den Segnungen der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) wachsen. Aber auch die ICT sieht das Auto der Zukunft gern als ihr Vehikel ihres unbändigen Expansionsdrangs. Deshalb gilt es Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb deren sich alle sicher bewegen können, inklusive Kundschaft, die das letztlich ja bezahlen muss.

60 Jahre hat es gedauert, bis das Auto zum integrierten Teil unserer Gesellschaft werden konnte, das Radio benötigte 40 Jahre, das Mobiltelefon zehn Jahre, um in ganzer Breite anzukommen, soziale Netzwerke erreichten in nur neun Monaten 100 Millionen User.

Solche Regelmäßigkeiten lassen sich nicht zwangsweise echtzeitmäßig auf den Komplex Automobil und Mobilität übertragen, aber deuten darauf hin, dass wir rasante und tiefgreifende Veränderungen vor uns haben.

Technische Möglichkeiten

In der Vergangenheit hing die Entwicklung unseres Verkehrssystems fast ausschließlich von den technischen Möglichkeiten des Automobils ab und von den Fortschritten im Kraftfahrzeugbau, bei dem es sich im Wesentlichen um Maschinenbau handelte. Die Ziele haben sich aus den technischen Möglichkeiten über weite Bereiche von selbst ergeben.

Früher mussten wir definieren, was wir können, heute geht es vielmehr darum, uns darüber klarzuwerden, was denn die Gesellschaft überhaupt will, und Mittel und Wege zu finden, dass dies auch umgesetzt wird. Technisch ist fast alles innerhalb kürzester Zeit möglich, wir müssen es aber immer auch bezahlen (können).

Versuchen wir den Denkansatz noch einmal verkehrt herum: Wenn Autos uns einmal nicht mehr als Fahrer brauchen werden, wird das auch uns verändern. Das unabhängige Auto wird vielleicht auch unabhängigere Benutzer zur Folge haben. Wachsende Weltbevölkerung mit hoffentlich wachsendem und besser verteiltem Wohlstand, wachsende Ballungsräume: Das ist der riesige Rahmen, in dem sich das Auto in Richtung selbstfahrend entwickelt.

Vehikel zur Absolvierung unserer Mobilität, freiwillig oder notgedrungen, im Grunde flexible kleine Einheiten, die uns allein oder in kleinen Gruppen von A nach B bringen auf der einen Seite.

Auf der anderen Seite: Autos, die wir im wahrsten Sinn des Wortes persönlich nehmen, die nur dir oder mir gehören, mit denen wir uns aber aufgrund ihrer hohen Intelligenz jederzeit in den automatisierten Verkehr einklinken können, etwa wenn wir in einem Ballungsraum eintreffen, in dem das Selbstlenken sogar (sehr bald) verboten sein wird. (Rudolf Skarics, 7.5.2016)