Die SPÖ habe Glaubwürdigkeit verloren, sagt Gewerkschaftsboss Katzian: "Die Leut' müssen spüren: Wir reißen uns für sie den Hintern auf."

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STANDARD: Rudolf Hundstorfer, ein gestandener Gewerkschafter wie Sie, hat bei der Präsidentenwahl gerade einmal elf Prozent erreicht. Hat die sozialdemokratische Arbeiterbewegung abgedankt?

Katzian: Das war mehr als eine Watschn, das war ein Desaster. In meinen schlimmsten Träumen hätte ich mir so ein Ergebnis nicht vorstellen können. Aber abgedankt hat eine Bewegung wegen eines desaströsen Ergebnisses – schlechte gab es schon mehrere – nicht. Wir müssen die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

STANDARD: Ihr Kollege Erich Foglar, der ÖGB-Chef, zieht folgenden Schluss: Die SPÖ müsse ihr Verhältnis zur FPÖ überdenken, könne nicht eine Regierungszusammenarbeit mit den Blauen von vornherein ausschließen.

Katzian: Erich Foglar hat auch dazu gesagt, dass es sich dabei um seine persönliche Meinung handelt. Meine ist eine andere: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene gibt. Deshalb sehe ich auch keinen Grund, jenen Beschluss des SPÖ-Bundesparteitages, der eine Regierungszusammenarbeit mit dieser FPÖ ablehnt, zu ändern. Und ich kenne niemanden unter den sozialdemokratischen Gewerkschaftern, der Rot-Blau will, auch Foglar will das nicht.

STANDARD: An der Basis hört man schon auch Stimmen für Rot-Blau, um sich nicht ewig an die ÖVP zu ketten, und Foglar will diese Möglichkeit zumindest offenhalten.

Katzian: In einem hat Foglar ja recht: Die SPÖ hat ein schlampiges Verhältnis in dieser Thematik. Der klare Parteitagsbeschluss wird im Burgenland und auch in verschiedenen Gemeinden durchbrochen. Es ist an der Zeit, das zu klären. Auf der Ebene der Gemeinden habe ich Verständnis, dass eine gemeinsame Vereinbarung notwendig sein kann, und ich bin auch nicht gegen Zusammenarbeit in Sachfragen, wie sie ohnehin schon längst passiert. Aber ein grundsätzliches Bündnis auf Bundesebene ist etwas ganz anderes, dazu sage ich Nein. Da habe ich eine klare Haltung.

STANDARD: Täte sich die SPÖ in vielen Fragen mit der FPÖ nicht leichter als mit der ÖVP?

Katzian: Die rot-blaue Schnittmenge, die da beschworen wird, ist eine Mär. Ich bin ja nicht aus einem Justamentstandpunkt heraus gegen eine Koalition mit den Freiheitlichen, sondern aus inhaltlichen Gründen. Die Freiheitlichen sind gegen die Mindestsicherung, Arbeitszeitverkürzung, Vermögenssteuern und Europa, sie säen Hass und spalten die Gesellschaft, wollen den Sozialstaat untergraben und machen Ausländer für jedes Problem im Land verantwortlich. Und wenn Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer ankündigt, dass sich noch alle wundern werden, was alles möglich sein wird, dann klingt das nach autoritären Strukturen, wie sie in manchen Ländern um sich greifen. Die Freiheit von Presse und Gewerkschaften ist dann oft das Erste, was eingeschränkt wird – wir sehen das ja in Ungarn oder in Polen.

STANDARD: Welche Schlüsse muss die SPÖ dann ziehen, um Wähler von der FPÖ zurückzuholen?

Katzian: Die SPÖ braucht eine Neuaufstellung. Sie muss Antworten in den Fragen schärfen, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Unsere Politik muss wieder stärker als etwas wahrgenommen werden, das mit der Lebensrealität zu tun hat, die Leut' müssen spüren: Wir reißen uns den Hintern für sie auf. Auf welche Themen sich die Sozialdemokratie draufsetzen muss, liegt eh auf der Hand: Arbeitslosigkeit bekämpfen, die Flüchtlingsintegration vorantreiben, das Wohnproblem lösen. Dabei muss endlich umgesetzt werden, was schon dreimal angekündigt wurde – bis jetzt gibt es etwa diese Wohnbaubank zur Finanzierung immer noch nicht. Die SPÖ muss da Gas geben, denn eines ist nicht zu leugnen: Wir haben an Glaubwürdigkeit verloren.

STANDARD: Gilt das nicht auch für die Flüchtlingsfrage, in der die SPÖ eine abrupte Wende hin zu einer restriktiven Politik vollzogen hat?

Katzian: Ja, der Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik, der ja insbesondere durch die Nichteinigung in Europa zustande gekommen ist, hat unserer Glaubwürdigkeit eine Delle beschert. Viele hatten sich in dieser Frage auf uns verlassen, die Folge war einerseits Ärger, andererseits Verunsicherung.

STANDARD: Warum haben Sie im Nationalrat dann dem berüchtigten Notstandsgesetz, das im Asylrecht massive Verschärfungen ermöglicht, zugestimmt?

Katzian: Weil ich aus faktischen Gründen keine Alternative mehr gesehen habe. Ich ging bis in den Winter hinein davon aus, dass die EU nicht nur ein Wirtschaftsverbund, sondern auch eine Solidargemeinschaft ist, und habe an eine europäische Lösung geglaubt. Als aber klar war, dass die faire Verteilung der Asylwerber in absehbarer Zeit nicht zustande kommt, waren nationale Beschränkungen nötig. Wenn ich Flüchtlinge aufnehme, muss ich diesen auch die Chance auf Integration geben, auf Arbeit und Wohnung. Das kann ein kleines Land wie Österreich nun einmal nicht allen bieten, die zu uns kommen wollen.

STANDARD: Die vielzitierten "Ängste" der Leute entzünden sich besonders an den Ausländern. Wie kann die SPÖ dagegenhalten?

Katzian: Wir müssen unsere Funktionäre in dieser Frage mit Fakten ausstatten, damit sie entsprechend kontern können. Wenn heute einer die auf Facebook aufgeschnappte Behauptung hinwirft, dass Asylwerber ein Eckhaus mehr an Sozialleistungen bekommen als Österreicher, musst du gut vorbereitet sein, um das Punkt für Punkt zu widerlegen. Da müssen wir uns dann aber auch mit echter Leidenschaft hineinhauen und Demagogen demaskieren.

STANDARD: Nicht alle Ängste sind irrational. Die hohe Arbeitslosigkeit etwa hängt auch mit starkem Zuzug zusammen. Plädieren Sie dafür, den Arbeitsmarktzugang für Menschen aus anderen EU-Ländern einzuschränken?

Katzian: Nein, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist nun einmal Teil der Europäischen Union. Es muss unterbunden werden, dass ausländische Firmen, die Arbeitnehmer nach Österreich entsenden, wegen der niedrigeren Sozialversicherungskosten in ihrem Land konkurrenzfähiger sind. Aber von einer Abschottungsstrategie halte ich nichts. Stattdessen müssen wir Wachstum generieren, da warten gute Ideen auf Umsetzung: So sollten öffentliche Investitionen aus den strengen Fiskalregeln herausgerechnet werden, um Geld in den dringend nötigen Ausbau von Schulen und Infrastruktur stecken zu können.

STANDARD: Bleibt noch die Frage nach personellen Konsequenzen. Ist ein Neustart der SPÖ ohne neue Köpfe an der Spitze möglich?

Katzian: Die Debatte in der SPÖ ist allumfassend, sie schließt personelle Fragen ein – das kann ja keiner wegdiskutieren.

STANDARD: SPÖ-Chef Werner Faymann hat das versucht: Am Tag nach dem Wahldebakel sagte er beim Parteipräsidium, Personaldiskussionen seien kein Thema.

Katzian: Das war im Präsidium auch kein Thema. Aber es wird natürlich diskutiert, und es ist nicht angenehm, im Fokus solcher Diskussionen zu stehen. Die SPÖ muss sich über ihre Inhalte und Strategie im Klaren werden. Im Zuge dessen geht es immer auch um die passende personelle Besetzung – auf allen Ebenen. (Gerald John, 5.5.2016)