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Österreich behält sich Kontrollen am Brenner vor, Italien ist strikt dagegen, und die EU-Kommission sagt: Macht euch das aus.

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Rückendeckung bekommt Italiens Premier Matteo Renzi von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel.

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Brüssel – In seiner Kritik an Österreichs Vorhaben, die Brennergrenze zu kontrollieren, bekam Italiens Premier Matteo Renzi am Donnerstag Rückendeckung von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

"Andere Lösungen finden"

Die Kanzlerin stellte sich "gegen Grenzschließungen", es sei notwendig, "die Würde der Menschen zu respektieren", betonte Merkel laut einem Bericht der "Repubblica" nach einem Arbeitsfrühstück mit Renzi. "Wir müssen andere Lösungen als Grenzschließungen finden", sagte Merkel. "Wie Europa sich der Herausforderung der Flüchtlingsproblematik stellt, entscheidet, wie uns die Welt schätzt", so Merkel. Die EU müsse in der Asylpolitik vereint auftreten. Sie sei in der Asylfrage derselben Meinung wie die italienische Regierung, so Merkel.

Renzi wiederholte nach dem Treffen, es sei "gegen die Logik, gegen die Geschichte", Grenzkontrollen am Brenner einzuführen. Es gebe keinen Notstand, was die Flüchtlingsankünfte betrifft, so der Premier: Im Jahr 2015 seien 26.000 Migranten in Italien angekommen, das seien nur um 1000 Menschen mehr als im Jahr 2014. Österreich sei mit keinerlei Masseneinwanderung aus Italien konfrontiert. "Der Brenner ist nicht nur eine Grenze, sondern ein Symbol", bekräftigte der Regierungschef. "Es ist eine wunderbare Region, die unter dem Gedanken einer Sperre leidet. Sie leidet, weil sich dieses Gebiet zutiefst europäisch fühlt", so Renzi.

Das Treffen der beiden Regierungschefs fand im Vorfeld eines Gipfeltreffens zur Flüchtlingskrise und zur Zukunft Europas in Rom statt. Österreich nimmt an dem Treffen nicht teil.

Juncker: "Brenner keine Grenze wie alle anderen"

Am Abend hat auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag in Rom Kritik an Österreichs Brenner-Plänen geübt. "Ich mag die Idee von Brenner-Kontrollen nicht, doch das ist ein Beschluss Österreichs", sagte Juncker im Interview mit RAI 1.

"Der Brenner ist nicht eine Grenze wie alle anderen. Es handelt sich um eine historische, eine symbolische Grenze. In den nächsten Tagen werden wir mit der Regierung in Wien alle Aspekte dieser Angelegenheit diskutieren", sagte Juncker, der in Rom an einem vom EU-Parlament organisierten runden Tisch über die Zukunft der Europäischen Union teilnahm.

An der Debatte beteiligte sich auch der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz. Dieser warnte die pro-europäischen Parteien davor, für Wahlkampfzwecke populistische Positionen einzunehmen. "Wir dürfen Populisten nicht in der Hoffnung auf Wählerstimmen nachahmen", warnte Schulz nach Medienangaben.

Schengenkontrollen genehmigt

Die EU-Kommission hatte Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen am Mittwoch die Fortsetzung ihrer Grenzkontrollen im Schengenraum für weitere sechs Monate genehmigt. Die EU-Kommission begründete die Verlängerung mit "schwerwiegenden Mängeln", die in Griechenland trotz Fortschritten noch immer beim Schutz der EU-Außengrenzen bestehen würden. Die Empfehlung sieht allerdings ausdrücklich vor, dass Grenzkontrollen am Brenner nicht unter diese Genehmigung fallen.

Kontrollen am Brenner müssten bei der EU-Kommission extra angemeldet werden und würden auf ihre Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit überprüft, teilte die EU-Kommission mit. Österreich darf demnach seine Kontrollen nur an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien fortsetzen.

Österreich hält trotzdem an seiner Devise fest, im Fall einer Zunahme bei den Flüchtlingsankünften Brenner-Kontrollen einzuziehen. In der Entscheidung der Kommission sehe das Innenministerium "keinen Hindernisgrund, neue Maßnahmen (an der Grenze zu Italien) bei geänderter Lage einzuführen", sagt ein Sprecher.

Kommission: Brenner-Frage bilateral lösen

Der Delegationschef der ÖVP-Europaabgeordneten, Othmar Karas, hat am Freitag die Entscheidung der EU-Kommission begrüßt, Grenzkontrollen am Brenner nicht zu genehmigen. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos drängt indes darauf, die Frage der Brenner-Kontrollen bilateral zwischen Österreich und Italien zu lösen. Avramopoulos sagte am Mittwoch in Brüssel, eine Rückkehr zum Schengensystem sei "nur eine Frage der Zeit. Bis Jahresende wird das Schengensystem wieder voll normalisiert sein."

Brüssel schlägt automatische Verteilungsquote vor

Die EU-Kommission hat einen weitgehend automatischen Mechanismus zur Verteilung von Asylanträgen in der EU vorgeschlagen. Entsprechende Referenzwerte sollen demnach für alle EU-Staaten aufgrund der beiden Kriterien Bevölkerungsgröße und Wirtschaftsleistung errechnet werden, die zu je 50 Prozent gewichtet würden. Staaten könnten sich auch mit 250.000 Euro pro Asylbewerber "freikaufen".

"Wenn die aktuelle Flüchtlingskrise eines gezeigt hat, dann das, dass der Status quo des gemeinsamen europäischen Asylsystems keine Option ist", sagte EU-Migrationskommissar Avramopoulos. Mit ihrem Vorschlag will die EU-Kommission das Dublin-System reformieren, das in der Flüchtlingskrise weitgehend versagt hat.

Fairnessmechanismus

Mit dem nunmehr vorgeschlagenen korrektiven "Fairnessmechanismus" will die EU-Kommission EU-Staaten zu mehr Solidarität bei der Flüchtlingsverteilung zwingen. Beschlossen müssen die Vorschläge aber von den Innenministern und dem Europaparlament werden. Überschreiten die Asylanträge den jeweiligen Referenzwert eines EU-Staates zu 50 Prozent, soll der Umverteilungsmechanismus künftig automatisch einsetzen.

Großbritannien, Irland und Dänemark müssen aufgrund von Ausnahmeregelungen nicht mitmachen, für sie würde das bestehende Dublin-System weiterbestehen. Auch die bisher beschlossene, aber nur schleppend vorankommende Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen in der EU soll nach den bisherigen Quoten fortgesetzt werden. Der neue Mechanismus könnte drei Monate nach Inkrafttreten der neuen Dublin-Verordnung starten, hieß es in EU-Kreisen.

EU-Asylvorschlag für Österreich "Schritt in richtige Richtung"

Die von der EU-Kommission präsentierten Vorschläge zu einer Reform des EU-Asylsystems sind aus Sicht des Innenministeriums ein "Schritt in die richtige Richtung". Schwierigkeiten habe man lediglich mit der Ausweitung des Familiennachzuges, erklärte Ministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck am Mittwoch.

Die Brüsseler Behörde hatte einen Richtwert zur Flüchtlingsaufnahme basierend auf Bevölkerungsgröße und Wirtschaftswachstum der einzelnen EU-Staaten unter Berücksichtigung von direkt aus Nicht-EU-Staaten aufgenommenen Flüchtlingen vorgeschlagen. Erreicht ein Mitgliedsstaat 150 Prozent dieses Wertes, sollen alle weiteren ankommenden Flüchtlinge automatisch auf die anderen EU-Länder aufgeteilt werden.

"Dieser Verteilungsmechanismus ist eine Verbesserung im Vergleich zur aktuellen Situation", erklärte Grundböck. Der für Österreich künftig vorgesehene Richtwert liege dem Innenministerium noch nicht vor. Gemessen an der Bevölkerungszahl haben 2015 innerhalb der EU nur in Schweden mehr Personen um Asyl angesucht als in Österreich.

Problem mit Definition von "Kernfamilie"

"Schwierigkeiten sehen wir allerdings bei der Ausweitung des Begriffs der Kernfamilie", so der Ministeriumssprecher. Die EU-Kommission will künftig Familienzusammenführung auch für Geschwister ermöglichen. Dennoch werde die nötige Annahme des Kommissionsvorschlags durch den EU-Staaten "nicht an Österreich scheitern", sagte Grundböck.

Auch die am Mittwoch ebenfalls ausgesprochene Empfehlung für eine Visa-Befreiung für türkische und kosovoarische Staatsbürger will man in Wien mittragen. Voraussetzung sei freilich, "dass alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind", wiederholte Grundböck die bisherige österreichische Position. Es dürften keine "Präzedenzfälle für andere Länder" geschaffen werden.

Osteuropäische EU-Staaten kritisieren EU-Vorschlag

Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei haben den Vorschlag der EU-Kommission für eine solidarischere Verteilung von Flüchtlingen unter den EU-Staaten kritisiert. Dieser sieht auch Strafzahlungen für Länder vor, die keine Flüchtlinge in einer Krisensituation aufnehmen wollen.

Er frage sich, ob die Kommission das wirklich ernst meine, sagte der polnische Außenminister Witold Waszczykowski am Mittwoch in Prag. Sein tschechischer Kollegen Lubomir Zaoralek sprach von einer unangenehmen Überraschung, während der ungarische Außenminister Peter Szijjarto die Quoten-Vorschläge als Erpressung verurteilte. Der slowakische Innenminister Robert Kalinak, dessen Land schon vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das EU-Quoten-System zur Flüchtlingsverteilung klagt, nannte den Kommissionsvorschlag realitätsfern. Auch Lettland und Estland lehnen die Reformvorschläge der EU-Kommission zur Umgestaltung des Asylsystems ab. Die Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU müsse auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basieren, sagte der lettische Regierungschef Maris Kucinskis nach Angaben seines Sprechers am Donnerstag in Riga. Auch aus Estland gab es Kritik: Innenminister Hanno Pevkur lehnte die Brüsseler Pläne für Ausgleichszahlungen ab, Sozialminister Margus Tsahkna nannte sie Medienberichten zufolge "absurd". (APA, 5.5.2016)