Es ist der 16. Juni 2008, in der Woche davor musste die SPÖ erneut eine Niederlage – bei der Landtagswahl in Tirol – hinnehmen. Die Parteibasis ist mit dem amtierenden Chef Alfred Gusenbauer unzufrieden. Werner Faymann wird in einer Präsidiumssitzung zum geschäftsführenden Bundesparteivorsitzenden gewählt, wenige Wochen später kündigt die Volkspartei am 7. Juli 2008 nach einem mittlerweile legendären Brief von Faymann und Gusenbauer an die "Kronen Zeitung" die Koalition auf (Wilhelm Molterer: "Es reicht").

Faymann und Molterer am Wahlabend 2008.
Foto: Fischer

Im August wird Faymann offiziell SPÖ-Chef. Die Nationalratswahlen im Herbst werden zum Fiasko für SPÖ und ÖVP, die Sozialdemokraten verlieren 6,1 Prozentpunkte und kommen mit 29,3 Prozent auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 1945, die ÖVP kommt auf 26 Prozent (– 8,4 Prozentpunkte). Großer Gewinner: die FPÖ und das BZÖ, zu der Zeit noch unter Jörg Haider.

Es ist die erste Wahl in der Ära Faymann, und sie steht symptomatisch für alle folgenden: Die SPÖ verliert.

Von den 20 Wahlen, die in der Amtszeit des Parteichefs Faymann stattgefunden haben, sind 18 mit Verlusten für die SPÖ ausgegangen – die Bundespräsidentschaftswahl im April dieses Jahres nicht mitgerechnet. Ähnlich dramatisch die Bilanz der vergleichsweise kurzen Amtszeit von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. Bei allen fünf Wahlen seit seinem Antritt hat die ÖVP Verluste eingefahren.

Doch wie begründen die Parteichefs die Verluste, welche Schlüsse ziehen sie, und was geloben sie in den Tagen unmittelbar nach der Wahl zu verändern? Prinzipiell gibt es zwei Muster:

  1. Die Wahl ist eine Landeswahl und betrifft die Bundespartei daher nur am Rande.
  2. Wir haben es nicht geschafft, die Politik richtig zu verkaufen, und brauchen einen Neustart.

Faymann selbst sagt im Herbst 2008 am Wahlabend übrigens: "Wir wollen zeigen, dass dieses Land im Vordergrund steht – ohne Streiterei." Er will damit zu dem Zeitpunkt auch das Vertrauen jener Wähler zurückgewinnen, die die SPÖ verlassen haben.

Im Folgenden ein Rückblick auf die Wahlen der letzten Jahre.

Gabi Burgstaller am Wahlabend im März 2009.
Foto: STANDARD/NEwald

März 2009 – Landtagswahl in Salzburg und Kärnten

Die erste Landtagswahl nach der Nationalratswahl brachte Verluste: Die SPÖ verlor bei der Wahl am 1. März in Salzburg sechs Prozentpunkte und kam auf 39,4 Prozent, die ÖVP landete mit 36,6 (–1,4) knapp dahinter. Gabi Burgstaller blieb Landeshauptfrau.

Am gleichen Tag verlor die SPÖ in Kärnten 9,7 Prozentpunkte, die ÖVP gewann fünf Prozentpunkte. Großer Gewinner war das BZÖ, Gerhard Dörfler wurde Landeshauptmann nach einer Wahl, die stark vom Tod des Landeshauptmanns Jörg Haider im Herbst 2008 überschattet war.

Zwei Tage danach meldete die APA:

Als Konsequenz aus den jüngsten Verlusten der SPÖ bei den Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg hat Parteichef Werner Faymann am Dienstagabend einen verstärkten Einsatz seiner Partei für die Interessen der Arbeitnehmer angekündigt. Es stimme, dass es vor allem bei den Jungen, bei Lehrlingen "besonderen Aufholbedarf" gebe, sagte Faymann in der "ZiB 1" zu aus den Bundesländern laut gewordenen Forderungen nach einer stärkeren Profilierung. Der Bundeskanzler sieht keinen Gegensatz darin, dass sich die SPÖ für die Arbeitnehmer "ganz ordentlich" einsetze und gleichzeitig in der Regierung konstruktiv zusammenarbeite. "Man muss ja nicht den Koalitionspartner schlechtreden."
Landeshauptmann auch nach der Wahl 2009: Josef Pühringer.
Foto: APA/Schlager

September 2009 – Landtagswahl in Oberösterreich

Das Wahljahr 2009 ging für die SPÖ bitter weiter, in Oberösterreich verlor sie 13,4 Prozentpunkte und kam auf 24,9 Prozent der Wählerstimmen. Klarer Sieger: ÖVP und FPÖ, Landeshauptmann blieb Josef Pühringer. Am gleichen Tag wurde in Vorarlberg gewählt, hier verlor die SPÖ 6,9 Prozentpunkte.

Am Tag darauf verkündete Faymann: "Zu ändern ist nichts. Ich suche keinen Sündenbock. Aktuell haben wir keine Änderung vor." In der APA hieß es weiter:

Faymann verwies darauf, dass es sich bei der Landtagswahl um ein regionales Ereignis gehandelt habe. Der letzte Urnengang, bei dem er an der Spitze gestanden sei, sei die Nationalratswahl gewesen, und dort sei er vor einem Jahr als Erster durchs Ziel gekommen: "Es gibt keine Landtagswahl, wo Sie hören, das war eine Nationalratswahl."
Foto: STANDARD/Fischer

Mai 2010 – Landtagswahl im Burgenland

Am 30. Mai 2010 ging es mit den Verlusten für die SPÖ weiter – minus 3,9 Prozentpunkte im roten Kernland. Mit 48,3 Prozent kam die Partei um Landeshauptmann Hans Niessl auf den ersten Platz. Die ÖVP verlor 1,8 Prozentpunkte und kam auf 34,6 Prozent.

Die Reaktion: Faymann bezeichnete das Ergebnis für die burgenländische SPÖ als "schönen Erfolg". Dass das ursprüngliche Wahlziel "50 plus" nicht erreicht wurde, kümmerte ihn nicht: "Nie soll es schlechter sein, als dass die SPÖ 49 Prozent macht." (Anmerkung: Im Laufe des Wahlabends änderte sich das Ergebnis leicht.)

Foto: Fischer

September 2010 – Steiermark-Wahl

Mit 38,3 Prozent der Stimmen verlor die SPÖ 3,4 Prozentpunkte, die ÖVP verlor 1,5 Prozentpunkte und kam auf 37,2 Prozent. Landeshauptmann blieb Franz Voves.

Faymann sagt in der Reaktion, es handle sich um ein "großartiges Ergebnis, mit dem vor einigen Monaten niemand gerechnet hat", erklärte er in einer Aussendung. Dass die steirische SPÖ stimmenstärkste Partei blieb, sei der Verdienst von Landeshauptmann Franz Voves, eine "Sensation" und das Ergebnis einer "beispiellosen Aufholjagd".
Foto: Cremer

Oktober 2010 – Wien-Wahl

Mit 4,8 Prozentpunkten Verlust landete die SPÖ in Wien bei 44,3 Prozent – und verlor die absolute Mehrheit. Seitdem regiert in der Bundeshauptstadt eine rot-grüne Koalition unter Michael Häupl.

Faymann reagierte enttäuscht:

"Fast 45 Prozent der Stimmen sind ein respektables Ergebnis, die jedenfalls zeigen, dass die SPÖ in Wien vieles richtig gemacht hat", sagte Faymann am Sonntag im Parteipressedienst, er schränkt jedoch ein: "Natürlich habe ich mir aber auch mehr erhofft, das ist eine Wahrheit, die ich nicht verschweigen will." Der SP-Chef kündigt außerdem neue Initiativen in der Integrationspolitik an.
Foto: APA/Eggenberger

März 2013 – Landtagswahl in Kärnten und Niederösterreich

Nach Jahren der blauen Herrschaft in Kärnten gewann die SPÖ massiv dazu und kam auf 37,1 Prozent (+8,75 Prozentpunkte). Die ÖVP kam auf 14,4 (–2,4 Prozentpunkte).

Die Reaktion: Faymann sprach in einer Aussendung von einer "Trendwende in Kärnten". Das Ergebnis sei ein "klares Votum für seriöse Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger".

Am gleichen Tag wurde in Niederösterreich gewählt. Trotz leichter Verluste sicherte sich die ÖVP die absolute Mehrheit mit 50,8 (–3,6 Prozentpunkte). Die SPÖ verlor 3,9 Prozentpunkte und kam auf 21,6 Prozent.

April 2013 – Landtagswahl in Salzburg und Tirol

Nur leichte Verluste für SPÖ und ÖVP, die Sozialdemokraten kamen auf 13,7 Prozent (–1,7 Prozentpunkte), die ÖVP auf 39,4 Prozent.

Die Reaktion von Faymann auf das Ergebnis in Tirol:

Faymann ist nicht erfreut über die voraussichtlich rund 13 Prozent – und damit einen historischen Tiefstand –, die seine Partei bei der Landtagswahl in Tirol eingefahren hat. Zugleich stärkte er dem Tiroler Parteichef Gerhard Reheis demonstrativ den Rücken. "Zufrieden kann man nicht sein, wenn man ein Minus hat", so der Bundeskanzler im ORF-Fernsehen.
Foto: APA/Hochmith

September 2013 – Nationalratswahl in Österreich

Beide Koalitionsparteien verzeichneten Verluste (die SPÖ 2,4 Prozentpunkte, die ÖVP 2,0). Faymann blieb Kanzler, Michael Spindelegger blieb noch Vizekanzler bis August 2014.

Die APA meldete am Wahlabend:

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) ist am Sonntagabend unter dem Jubel seiner Parteianhänger im Festzelt vor der Wiener Löwelstraße eingetroffen. Faymann zeigte sich vor Journalisten mit dem Wahlergebnis sehr zufrieden: "Der erste Platz ist nicht selbstverständlich." Er verspüre eine "große Dankbarkeit" gegenüber dem Wähler, so Faymann.

Mai 2014 – Wahl zum Europaparlament

Ein Hoffnungsschimmer für die SPÖ. Bei der Wahl zum Europaparlament am 25. Mai 2014 konnte sie gegenüber der Wahl 2009 um 0,4 Prozentpunkten leicht zulegen. Die ÖVP verlor drei Prozentpunkte, blieb aber stimmenstärkste Partei. Gewinner des Abends waren die Grünen (+4,6 Prozentpunkte) und die FPÖ (+7 Prozentpunkte). Faymanns Reaktion:

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hat sich für das Wahlergebnis seiner Partei bedankt: "Wir sind gleich geblieben, möglicherweise eine geringe Verbesserung. Dafür sagt man einmal danke schön", sagte er am Sonntag im ORF-Fernsehen.

In der Folge kam es zu SPÖ-interner Kritik, unter anderem vom burgenländischen Landesrat Peter Rezar. Faymann kurz darauf: "Schlechte Ratschläge nehme ich nicht entgegen."

September 2014 – Landtagswahl in Vorarlberg

Für die SPÖ waren Landtagswahlen im westlichsten Bundesland noch nie einfach, am 21. September 2014 verlor die SPÖ 1,25 Prozentpunkte und kam auf 8,77 Prozent. Auch für den Koalitionspartner endete der Wahlabend mit großen Verlusten (–9 Prozentpunkte und 41,8 Prozent). Gewinner des Abends waren die Grünen und die Neos.

Faymanns Reaktion: "Ein Minus ist immer unangenehm, man wünscht sich bei einer Wahl ein Plus." Es sei mit einer zusätzlich antretenden Partei allerdings keine leichte Ausgangssituation gewesen.

Mai 2015 – Landtagswahl im Burgenland und in der Steiermark

Erneute Verluste für die SPÖ bei der Landtagswahl im Burgenland. Die Sozialdemokraten kamen am 31. Mai 2015 auf 41,9 Prozent (–6,3 Prozentpunkte), die ÖVP kam auf 29,1 Prozent (–5,5 Prozentpunkte). Die FPÖ und die Grünen legten auch hier zu. Hans Niessl blieb Landeshauptmann.

In der Steiermark gab es fast neun Prozentpunkte Verlust für die Sozialdemokraten (29,3 Prozent) und minus 8,7 Prozentpunkte für den Koalitionspartner ÖVP. Die Freiheitlichen konnten sich auf 26,8 Prozent mehr als verdoppeln. Hermann Schützenhöfer wurde in der Folge Landeshauptmann.

Faymann sah in der APA als Konsequenz auf die beiden Wahlen die Notwendigkeit, auf die Bevölkerung zuzugehen und zu erklären, "warum wir in der Asylfrage verantwortungsvoll und menschlich agieren". In der Regierung müsse man sich für den richtigen, schwierigeren Weg entscheiden. Keine Absage sah er an eine Reformpolitik: "Wenn man von etwas überzeugt ist als Politiker, dann soll man das auch tun und sich nicht abhalten lassen. Schon gar nicht durch Einzelinterpretationen von Landtagsergebnissen."

September 2015 – Landtagswahl in Oberösterreich

Dramatische Verluste für die Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ gab es im 27. September in Oberösterreich. Die Volkspartei verlor 10,4 Prozentpunkte und kam auf 36,4, die Sozialdemokratie nur mehr auf 18,4 Prozent (–5,6 Prozentpunkte). Gewinner einmal mehr: die FPÖ, die sich verdoppelte und auf 30,4 Prozent kam.

In Reaktion auf das Wahlergebnis zeigte sich Faymann "enttäuscht", seine Linie in der Flüchtlingspolitik wollte er jedoch nicht ändern: "Im Gegenteil. Ich bin fest davon überzeugt, dass es jetzt um Anständigkeit und Charakter geht. Das heißt: Kontrolle ja, Ordnung ja, aber Menschlichkeit muss es dabei unbedingt geben. Jemand, der Menschenrechte einfach über Bord wirft, ist nicht berechenbar. Da fragt man sich, welches Menschenrecht er als nächstes über Bord wirft. Jetzt geht es darum zu beweisen und zu zeigen, dass, wenn der Wind einem ins Gesicht bläst, man Haltung hat."
Suchbild mit Bürgermeister und Kanzler.
Foto: Cremer

Oktober 2015 – Landtagswahl in Wien

Die letzte Wahl auf Landesebene vor der Bundespräsidentenwahl. Die SPÖ kam mit 39,6 Prozent (–4,7 Prozentpunkte) auf den ersten Platz vor der FPÖ mit 30,8 Prozent (+5 Prozentpunkte). Die rot-grüne Regierung hatte Verluste hinzunehmen, konnte aber die Koalition fortsetzen, Bürgermeister Michael Häupl blieb im Amt.

Trotz der Verluste sagte Faymann: "Es ist ein tolles Ergebnis. Ich gratuliere dem Wiener Bürgermeister." "Wir werden in der Frage der Flüchtlinge weiter Haltung zeigen", betonte er. Auch wenn er sich für die Nationalratswahl 2018 natürlich ein Plus wünsche, müsse man bedenken, dass die meisten Regierungen in diesen "schwierigen Zeiten" ein Minus schreiben würden. Gefeiert hat Faymann dann gemeinsam mit Häupl: "Ich werde dann ins Zelt gehen und ihm sagen – wovon ich überzeugt bin –, dass er ein guter Bürgermeister für die Stadt ist", sagte er. "Umarmt habe ich ihn schon."

(seb, 6.5.2016)