Davutoğlu: "Ich werde zur Seite treten, wenn es nötig ist."

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Ankara/Athen – Ausgerechnet am Vorabend eines großen politischen Erfolgs hat der türkische Regierungs- und Parteichef Ahmet Davutoğlu die Möglichkeit seines Rücktritts angedeutet. "Ich werde zur Seite treten, wenn es nötig ist", sagte er am Dienstag vor Abgeordneten der AKP. Die Aufhebung des Visazwangs für türkische Bürger bei Reisen in die EU soll heute, Mittwoch, von der EU-Kommission empfohlen werden.

Der Prestigegewinn und die von vielen Türken lang erwartete Reisefreiheit werden letztendlich Davutoğlu zugeschrieben, der auf türkischer Seite die Verhandlungen über das Flüchtlingsabkommen geführt hatte. Doch die Spannungen zwischen dem Premier und dem übermächtigen Staatspräsidenten Tayyip Erdoğan sind in den vergangenen Tagen unübersehbar geworden. Erdoğan hat seinen Premier für Mittwochabend um 18 Uhr in den Präsidentenpalast einbestellt. Das Treffen wurde in den türkischen Morgennachrichten als "kritisch" bewertet.

Davutoğlu ging am Dienstag in der wöchentlichen Rede vor den Parlamentsabgeordneten seiner konservativ-islamischen Partei AKP indirekt auf Gerüchte und Mutmaßungen über sein Zerwürfnis mit Erdoğan ein. Gleichzeitig war es der erste Auftritt des Regierungschefs vor den Abgeordneten nach seiner offenbar handstreichartig durchgeführten Entmachtung im obersten Parteigremium am vergangenen Freitag.

An jenem Tag kam Davutoğlu nach Informationen türkischer Medien von einer Reise verspätet zur Sitzung des 50-köpfigen Führungsgremiums der AKP. Während seiner Abwesenheit nahmen 47 Mitglieder rasch eine Entschließung an, mit welcher der Parteichef fortan nicht mehr allein lokale Führungen der AKP ernennen darf. Angeblich soll Erdoğan unzufrieden gewesen sein, dass Davutoğlu nicht seinen Personalempfehlungen gefolgt war. Die unteren Führungsebenen der Partei in den Städten und Provinzen der Türkei haben in den zurückliegenden Jahren entscheidend zum Erfolg der AKP beigetragen.

Moralische Ansprüche

Er stoße mit seiner Hand jedes Amt zurück, das seinen moralischen Ansprüchen nicht gerecht werde, sagte Davutoğlu nun am Dienstag in der halbstündigen Rede vor den AKP-Abgeordneten und fuhr fort: "Ich werde niemals erlauben, dass die AKP-Bewegung, die einzige Hoffnung der Opfer dieser Welt, Schaden erleidet, dass die mutigen Führungskräfte der AKP sich grämen."

Der 57-jährige ehemalige Politikprofessor hielt für seine verklausulierten Formulierungen donnernden Beifall von den mehr als 300 Abgeordneten – die AKP hat die absolute Mehrheit im Parlament. Dass er die Frage des Rücktritts und der Anwürfe gegen seine Person in einer öffentlich übertragenen Rede ansprach, lässt sich aber als Herausforderung an Erdoğan verstehen. Davutoğlu will sich nicht hinter den Kulissen abservieren lassen.

Die Pelikan-Akte

Ein türkischer Internetblog mit dem Namen Pelikan-Akte – nach dem gleichnamigen US-Thriller aus den 1990er-Jahren – hatte am Montag zuvor über ein Zerwürfnis zwischen Erdoğan und Davutoğlu berichtet. Der wichtigste Grund soll sein, dass Davutoğlu nur halbherzig die Einführung einer Präsidialverfassung für Erdoğan verfolgt. Der Blog soll angeblich von regierungsnahen Schreibern betrieben werden.

Als Nachfolger von Davutoğlu gilt seit längerem der jetzige Minister für Transport und Kommunikation, Binali Yildirim. Er ist ein enger Vertrauter von Erdoğan. Neben Yildirim wird nun aber auch über die Ernennung von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak spekuliert. Ihn hatte Erdoğan als Energieminister in Davutoğlus Kabinett platziert. (Markus Bernath, 4.5.2016)