Muse und Vamp: Louise Brooks.

Foto: Filmarchiv

Wien – Wie diese Frau nicht nur mit den Männern im Film, sondern auch mit ihrem männlichen Publikum spielt, ist unglaublich und unerhört. Jede Bewegung ist eine Selbstbehauptung, jede Geste eine Andeutung, jeder Blick eine Aufforderung. Vor dieser Frau gibt es kein Entkommen, und das fatale Schicksal der Männer besteht darin, dass sie völlig ungeschützt in ihr Verderben rennen.

Als Georg Wilhelm Pabst für Die Büchse der Pandora (1929) nach einer Hauptdarstellerin suchte, sprach auch Marlene Dietrich vor. Pabst lehnte sie ab, er sah eine andere Form der Erotik in der Figur der Lulu aus Frank Wedekinds Drama – und fand sie in der in Deutschland unbekannten US-Schauspielerin Louise Brooks. Die Darstellung der dunkelhaarigen Schönen und die fiebrige Ästhetik der Inszenierung sollten Die Büchse der Pandora zu einer der bis heute bedeutendsten Arbeiten des deutschen Kinos machen.

Die besser Zeit, die nicht kam

Der Film erzählt von einer furchtbaren Tragödie, die Pabst in seinem letzten Stummfilm, dem von der Zensur stark beeinträchtigten Tagebuch einer Verlorenen (1929), ebenfalls mit der Brooks in der Hauptrolle, noch stärker ausmalen sollte. Es sind Geschichten vom Aufstieg und vom Fall, vom Guten im Bösen und von der Hoffnung auf eine bessere Zeit, die, man ahnte es bereits, nicht kommen würde. Die Weimarer Republik endete 1933 mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.

Georg Wilhelm Pabst, geboren 1885 im böhmischen Raudnitz, war zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Zunächst als Schauspieler auf diversen deutschsprachigen Bühnen unterwegs, adaptierte er 1925 Hugo Bettauers Roman Die freudlose Gasse mit einem bis dahin unbekannten Realismus, der mit der expressionistischen Ästhetik endgültig aufräumte. Was heute die Bezeichnung "Neue Sachlichkeit" trägt, war eine der wichtigsten Zäsuren auf der Leinwand: ein ungeschönter, sozialkritischer Blick auf die Armut und das Milieu der sogenannten kleinen Leute.

Viele Wege zum Ruhm

Warum die Filmgeschichtsschreibung dennoch Mühe hat, das Gesamtwerk Pabsts zu kanonisieren, kann man an der Retrospektive gut ablesen: Es entzieht sich schlicht einer eindeutigen Zuschreibung. Vom psychoanalytischen Lehrfilm Geheimnisse einer Seele (1926) zum kühl distanzierten Kammerspiel Abwege (1928), vom blendenden Gletscherlicht im heroischen Bergfilm Die Weiße Hölle vom Piz Palü (1929, mit Arnold Fanck) in die dreckigen Gräben des Ersten Weltkriegs in Westfront 1918 (1930), noch heute ein Meilenstein des Antikriegsfilms, den die Nazis umgehend mit einem Aufführungsverbot belegten.

Und schließlich die fragwürdigen Arbeiten unter dem NS-Regime (Paracelsus, 1943), nachdem Pabst aus dem französischen Exil 1940 nach Deutschland zurückgekehrt war, sowie österreichische Nachkriegsfilme.

In ihrer Besprechung von Pabsts Regiedebüt Der Schatz (1922) schreibt die Filmkritikerin und Pabst-Kennerin Lotter Eisner: "Hier finden sich alle klassischen Stilformen des deutschen Films dieser Zeit, aber noch wenig deutet darauf hin, dass Pabst einmal eigene, andere Wege gehen wird." Wie wahr: Es sollten tatsächlich viele Wege sein, die Georg Wilhelm Pabst beschritt. (Michael Pekler, 3.5.2016)