Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Anfang der Jelzin-Ära hat sich der führende russische Politologe und langjährige Berater der Sowjetführer Georgi Arbatow (1923-2010) bei einer Konferenz lächelnd an die westlichen Teilnehmer gewandt: "Wir haben euch was Grausliches angetan, ihr habt den Feind verloren." Diese damals zu geflügelten Worten gewordene Bemerkung würde heute nach 16 Jahren Putin und seinen Interventionen in Georgien, der Ukraine und in Syrien als blanker Hohn klingen.
Mitten in einer schweren Wirtschaftskrise (39 Prozent der russischen Familien haben ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten) und trotz der massiven Vorwürfe in der Panama-Affäre gegen Putins engen Freund, den Cellisten Sergei Roldugin, über dessen Briefkastenfirmen rund zwei Milliarden Dollar aus Russland geflossen sind, bewerteten im März beim unabhängigen Levada-Institut den Präsidenten, wie stets seit der Annexion der Krim, 82 Prozent positiv.
Die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine und in Syrien bestätigen die Meinung jener deutschen und amerikanischen Kommentatoren, die darauf hinweisen, dass Putins Russland, trotz des engen wirtschaftlichen Spielraumes, verursacht durch den niedrigen Ölpreis und die westlichen Sanktionen wegen der Intervention in der Ukraine, "fast nach Belieben zentrale Bereiche der weltpolitischen Agenda dominiert"(Richard Herzinger in der NZZ).
Durch eine schlagkräftige Informations- und Politik-Lobby, unterstützt von der äußersten Rechten und der äußersten Linken, gelingt es dem Kreml, die durch die drei Krisen (Flüchtlinge, Eurofinanz und islamischer Terror) gespaltene EU noch stärker zu destabilisieren. Den vom gewaltigen Propagandaapparat geführten Informationskrieg gegen die liberale Demokratie unterstützen antiamerikanische Verschwörungstheoretiker, Europaskeptiker, Nationalpopulisten und Kapitalismuskritiker.
Lenin wird der Spruch über die europäische Bourgeoisie zugeschrieben: "Sie verkauft uns den Strick, an dem wir sie aufhängen." Auch heute sind Teile des politischen und wirtschaftlichen Establishments, unter anderem in Deutschland und Österreich, Frankreich und der Schweiz, die "Putin-Versteher", empfänglich für die verführerische Kraft eines autoritären Herrschaftssystems, verkörpert durch den "starken Mann" im Kreml. Es geht natürlich nicht mehr um die Verbreitung der kommunistischen Ideologie, sondern schlicht und einfach um eine imperiale Mission, die Russland als Führungsmacht in Eurasien etablieren will.
Deshalb ist es von großer Bedeutung, die Motive und Methoden, die neue Staatsideologie und die Verschleierungsstrategie der russischen Führung überhaupt zu begreifen. Drei lesenswerte neue Bücher leisten einen wichtigen Beitrag dazu. Der französische Philosoph Michel Eltchaninoff (In Putins Kopf) untersucht die Philosophie eines lupenreinen Demokraten, der in Berlin lebende russische Autor Boris Schumatsky (Der neue Untertan) beschreibt die Auswirkungen der Kreml-Propagan-da in den Köpfen, und der Schweizer Russland-Experte Ulrich Schmid (Technologien der Seele) analysiert in einem massiven Werk die politische Ideologie und ihre Inszenierung in Russland. (Paul Lendvai, 2.5.2016)