Der Prozess gegen einen Jihadisten in Krems war nur einer von mehreren im Vorjahr.

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Wien – Ein deutlicher Anstieg bei den Anzeigen wegen rechtsextremistischer Taten, ein ebenso deutlicher Rückgang bei den Anzeigen wegen linksextremistischer Taten, die Identifizierung von 259 mutmaßlichen Jihadisten und Cyberkriminalität – das ist das Kurzfazit des Verfassungsschutzberichts 2015.

"Die größte Bedrohung für die innere Sicherheit in Österreich", heißt es darin, "geht nach wie vor vom religiös motivierten islamistischen Extremismus und Terrorismus aus." 259 Personen seien den Behörden Ende 2015 bekannt gewesen, die aus Österreich in den Jihad nach Syrien oder in den Irak gereist sind oder reisen wollten. 41 Verdächtige wurden an der Ausreise gehindert, 43 sind "mit höchster Wahrscheinlichkeit" im Krisengebiet getötet worden, und 79 sind wieder nach Österreich zurückgekehrt. Auch wenn die meisten dieser "Foreign Fighters" in Syrien und dem Irak aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland stammen, nimmt Österreich im Verhältnis zur Einwohnerzahl hinter Belgien den zweiten Platz ein.

Sorgen durch Heimkehrer

"Die Heimkehrer bereiten uns die größten Sorgen", sagte Peter Gridling, Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), bei der Präsentation des Berichts am Montag. Meist seien es charismatische Persönlichkeiten oder ideologische Anführer, die den Radikalisierungsprozess anstoßen, sie nutzen dazu oft Zusammenkünfte in Moscheen oder Kampfsporteinrichtungen. "Die salafistisch-jihadistische Ideologie trägt zur Entwicklung einer neuen Identität und zum Bruch mit dem gewohnten sozialen Umfeld bei", schreiben die Autoren das Verfassungsschutzberichts. Angepeilt würden oft Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren, zuletzt vermehrt auch Frauen.

Auch die Flucht- und Migrationsbewegungen des vergangenen Jahres "haben Auswirkungen auf Entwicklungen in Österreich, die wir in Bezug auf die Sicherheit mitbedenken müssen", sagte Kogler. "Der eine oder andere Extremist hat die Welle ausgenutzt", um nach Europa zu gelangen. Vor allem junge Männer ohne Ausbildung müssten gesamtgesellschaftlich integriert werden, um zu verhindern, dass sie von Extremisten angeworben würden, so Kogler.

"Dramatischer" Anstieg bei Rechtsextremismus

Einen "dramatischen Anstieg und absoluten Höchststand" gab es laut Gridling bei den Tathandlungen mit rechtsextremistischem, rassistischem, islamophobem oder antisemitischem Hintergrund. 1.156 derartige Fälle sind im Vorjahr bekannt geworden, gegenüber 2014 entspricht das einem Anstieg um 54,1 Prozent. 1.691 Anzeigen resultierten daraus. In 953 Fällen wurden Verstöße gegen das Verbotsgesetz angezeigt, 695 entfielen auf Delikte nach dem Strafgesetzbuch. Den größten Teil der strafrechtlich relevanten Anzeigen bildeten Sachbeschädigung (262 Anzeigen gegenüber 182 Anzeigen 2014) und Verhetzung (282 Anzeigen gegenüber 182 Anzeigen 2014). Die Zahl der Anzeigen wegen Straftaten gegen Leib und Leben stieg von 24 auf 30.

Der langfristige Vergleich der registrierten Tathandlungen und Anzeigen mit rechtsextremem Hintergrund zeichnet einen klaren Aufwärtstrend. Bis 2010 lag die Zahl der Tathandlungen stets deutlich unter 1.000, die Zahl der Anzeigen unter 500. Erst in diesem Jahrzehnt stiegen die beiden Kurven massiv an.

Recherchiert von Laurenz Ennser-Jedenastik

"Das macht uns natürlich entsprechende Sorgen", sagte Konrad Kogler, der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit im Innenministerium. Vor allem die "Neue Rechte", die laut Bericht "mithilfe von Internetauftritten und aktionistischen Handlungen eine 'Popkultur' mit rechtsextremen Inhalten für Jugendliche und junge Erwachsene zu entwickeln versucht", erhielt im vergangenen Jahr öffentliche Aufmerksamkeit und einen "signifikanten Anstieg von Mitgliedern und Sympathisanten". Gruppen wie die "Identitären", auf die diese Zuschreibung offensichtlich anspielt, würden versuchen, "fremdenfeindliche und Ängste generierende Themen in der 'Mitte der Gesellschaft' zu verbreiten" und "den Anschein nach außen zu wahren, dass es sich um eine moderate 'Bürgerbewegung' handle, die sich lediglich der Sorgen und Ängste der Bürger annehme".

In der zweiten Hälfte des Vorjahres hätten sich die asylfeindlichen Tathandlungen vermehrt, so Gridling. Dabei handle es sich vor allem um islamfeindliche Vorfälle; gleichzeitig sei aber auch ein neuer Antisemitismus zu beobachten, der häufig von Personen mit stark ausgeprägten islamischen Glaubensvorstellungen ausgehe.

"Wir müssen reagieren, und das tun wir auch", sagte Gridling. Einen messbaren Erfolg sieht er in der Aufklärungsquote, die über alle rechtsextremen Tathandlungen hinweg im Vorjahr von 59,7 auf 65,1 Prozent gestiegen ist. Dass auch die Zahl der Anzeigen in diesem Bereich wuchs, ist laut Gridling auch auf eine größere Bereitschaft in der Bevölkerung zurückzuführen, Verdachtsmomente an die Behörden weiterzugeben.

Akademikerball war Protestziel der Linksextremen

Dem gegenüber steht eine deutlich sinkende Tendenz bei linksextremistischen Straftaten. Von 2014 auf 2015 halbierte sich die Zahl der bekannt gewordenen Tathandlungen knapp von 371 auf 186, die Zahl der daraus folgenden Anzeigen sank von 545 auf 312. 205 dieser Anzeigen erfolgten auf Basis des Strafgesetzbuchs. Die Anzeigen wegen Straftaten gegen Leib und Leben sanken gegenüber 2014 von 48 auf 13.

Die meisten linksextremistischen Tätern zuordenbaren Strafrechtsdelikte entfielen auf Sachbeschädigung (133 Anzeigen gegenüber 239 Anzeigen 2014). Abseits des Strafgesetzbuchs wurden am häufigsten Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (72 Fälle gegenüber zehn Fällen 2014) registriert. Die Zahl der Anzeigen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, 2014 mit 73 Fällen noch das zweithäufigste Delikt, sank auf zehn.

Mehr als die Hälfte aller Anzeigen mit linksextremem Hintergrund gingen in Wien ein. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle fokussierten sie sich auf Aktionismus und Agitationen in den Bereichen "Antifaschismus", "Antirepression", Flüchtlings- und Asylthemen, Kapitalismus-, Wirtschafts- und Sozialkritik. Das zentrale Protestziel war im Vorjahr laut Verfassungsschutzbericht der Akademikerball Ende Jänner mit 117 der 312 Anzeigen.

Prävention und Staatsschutzgesetz

"Verstärkte Präventionsarbeit" sei der Schlüssel, um den wachsenden Bereichen verfassungsfeindlicher Kriminalität zu begegnen, sagte Martin Weiss, der Leiter der BVT-Abteilung 2. Nach begangenen Straftaten soll vor allem das polizeiliche Staatsschutzgesetz, das am 1. Juli in Kraft treten wird, den Behörden die Ermittlungsarbeit erleichtern. Es "präzisiert den Aufgabenbereich der Staatsschutzbehörden, gibt ihnen die notwendigen und dem Bedarf angepassten Möglichkeiten und achtet auf entsprechende Rechtsschutzmaßnahmen", sagte Gridling. (Michael Matzenberger, 2.5.2016)