Berlin – Die Türkei soll einem Zeitungsbericht zufolge mehr Zeit bekommen, um die Voraussetzungen für die Visafreiheit zu erfüllen. Die EU-Kommission wolle nun erst Mitte Juni einen endgültigen Abschlussbericht vorlegen, in dem sie entscheide, ob die notwendigen Kriterien erfüllt seien, berichtete die "Welt" am Montag unter Berufung auf EU-Kreise.

Die EU-Kommission werde am Mittwoch zwar generell eine Aufhebung der Visumpflicht für türkische Staatsbürger empfehlen, sie werde diese Entscheidung aber unter Vorbehalt stellen. Ankara habe dann bis Mitte Juni Zeit, unter anderem bei der Datenschutzgesetzgebung, bei den Anti-Terror-Gesetzen und bei der Korruptionsbekämpfung nachzubessern. Außerdem müssten bis Juni alle Voraussetzungen für die Ausgabe von biometrischen Pässen erfüllt werden.

72 Bedingungen

Für eine Aufhebung der Visumpflicht muss die Türkei 72 Bedingungen erfüllen. Die CSU pocht darauf, dass das Land sämtliche Voraussetzungen erfüllt. "Die Kriterien zur Visafreiheit wurden fixiert, um voll erfüllt zu werden. Für die Türkei darf es keinen Rabatt wegen des EU-Türkei-Deals zur Flüchtlingskrise geben", sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer dem "Tagesspiegel" vom Montag.

Die Visumpflicht für die Türkei soll laut Plan bis Ende Juni aufgehoben werden. Die endgültige Entscheidung der EU-Kommission über die Erfüllung der notwendigen Bedingungen zur Aufhebung der Visumspflicht war für den 4. Mai erwartet worden.

"Kein Flüchtlingsrabatt" für Türkei

Nach Ansicht des Chefs der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, darf die Rolle der Türkei in der Flüchtlingskrise nicht zu einer Aufweichung der Kriterien für eine Visaliberalisierung führen. "Wir wollen die Türkei als Partner, sind aber nicht naiv", sagte Weber der "Passauer Neuen Presse" vom Montag. Europa sei der stärkere Partner, gerade wirtschaftlich. "Auch wir wissen unsere Interessen durchzusetzen", sagte Weber, "deshalb darf es keinen Flüchtlingsrabatt geben."

Die Visaliberalisierung dürfe nicht dazu führen, dass wieder mehr Flüchtlinge in die EU kommen, so Weber. Aus diesem Grund habe er sich für eine "verschärfte Notfallbremse" eingesetzt. Die Visafreiheit müsse schnell aufgehoben werden können, wenn sie missbraucht werde. "Wenn die Türkei die Kriterien nicht dauerhaft umsetzt, dann muss die Visaliberalisierung ausgesetzt werden." Angesichts der möglicherweise wieder steigenden Zahl von Menschen, die von Libyen aus über das Mittelmeer nach Europa zu kommen versuchen, forderte Weber einen entschlossenen Einsatz gegen die "Schleppermafia". "Ich halte den Einsatz von Waffen und Militäroperationen in Küstennähe für notwendig."

Bayerns Verfassungsklage vertagt

Bayern verzichtet derweil im Flüchtlingsstreit vorerst auf eine Verfassungsklage gegen die deutsche Bundesregierung. "Die Flüchtlingszahlen gehen zurück, der Druck hat nachgelassen", sagte der bayrische Justizminister Winfried Bausback der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Montag. Es gebe daher derzeit keine Notwendigkeit, die Klage beim Verfassungsgericht einzureichen. "Bayerns Handlungsfähigkeit und Eigenstaatlichkeit sind, jedenfalls gegenwärtig, nicht mehr unmittelbar in Gefahr", sagte Bausback. Sollten die Flüchtlingszahlen aber wieder steigen, halte sich Bayern eine Klage offen. (APA, Reuters, 2.5.2016)