Vor kurzem hat in diesen Spalten Guy Verhofstadt den vermeintlichen Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen kritisiert und sogar beiden Ländern die Gefährdung der europäischen Integration vorgeworfen (Der Standard, 16. April 2016). Mit vollem Respekt vor seiner politischen Überzeugung möchten wir einiges klarstellen, um zu einem objektiven Bild beizutragen.

Bezüglich der angeblichen Verletzung der Grundrechte in Ungarn möchten wir daran erinnern, dass es einen intensiven Dialog mit der EU-Kommission und Venedig-Kommission gegeben hat. Infolgedessen wurden einige umstrittene Gesetze tatsächlich korrigiert, worüber beide Institutionen – die Hüterinnen der europäischen Werte – sich zufrieden geäußert haben. Da kann man die Hypothesen des liberalen EU-Abgeordneten nur ideologisch motiviert nennen. Ungarn ist und bleibt ein freiheitlicher und demokratischer Rechtsstaat.

Verhofstadt weist darauf hin, wie wichtig die sicherheitspolitischen Aspekte der europäischen Integration sind. Der Nato-Gipfel in Warschau ist ein polnischer Beitrag zur europäischen Sicherheit, weshalb wir seinen Aufruf, diesen wegen einer anderen als von Guy Verhofstadt erwarteten Politik der neuen polnischen Regierung zu boykottieren, für destruktiv halten. Es liegt im Interesse aller europäischen Länder, inklusive Nicht-Nato-Länder wie Österreich, dass der Warschauer Nato-Gipfel stattfindet und erfolgreich ist.

Starkes politisches Mandat

Die polnische Regierung setzt das Programm durch, für das sie ein sehr starkes politisches Mandat bekommen hat. Eine der Prioritäten ist, die sozialpolitischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, diejenigen Gruppen der Gesellschaft zu fördern, die bisher von der raschen Entwicklung Polens kaum profitiert haben. Deshalb bemüht sich das Parlament, verfassungsgemäß die Rahmen für das Verfassungsgericht zu präzisieren. Das Gutachten der Venedig-Kommission wurde an das Parlament weitergeleitet, das das letzte Wort hat, und wo eine für alle politischen Parteien offene Expertengruppe derzeit arbeitet. Diese Arbeit braucht guten Willen von allen politischen Seiten in Polen, aber auch von unseren europäischen Partnern. Angriffe wie derjenige von Guy Verhofstadt helfen dabei nicht.

Ohne Zweifel haben Polen und Ungarn von der EU-Mitgliedschaft enorm profitiert. Das bedeutet aber nicht, dass irgendein EU-Land für solche Vorteile sein demokratisches Mandat im Bereich notwendiger, innenpolitischer Reformen einschränken sollte. Zugleich sind wir überzeugt, dass unsere Mitgliedschaft keine Einbahnstraße gewesen ist und durch die Erweiterung 2004 auch andere EU-Länder – wie Österreich – kulturell und wirtschaftlich "reicher" geworden sind.

Wir bedauern die Pauschalurteile von Guy Verhofstadt. Die Union braucht heute keinen Diskurs im Sinne des "modernen europäischen Orientalismus" mit dem "aufgeklärten Westen" und den "mysteriösen Osteuropäern" in den Hauptrollen. Stattdessen braucht die Europäische Union einen ernsthaften Dialog über ihre Zukunft, der nicht auf Vorurteilen und Vorverurteilungen beruht. (Vince Szalay-Bobrovniczky, Jerzy Marganski, 2.5.2016)