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Kinder vertreiben sich in einem Lager im Athener Hafen Piräus die Zeit mit Ballspielen. Denn viel gibt es für die tausenden Flüchtlinge dort nicht zu tun.

Foto: Reuters / Michalis Karagiannis

Athen – Er kam einen Tag nach der Wiener Balkankonferenz und nach der Schließung der Grenzen. "Wir haben nichts davon gewusst", sagt Anas. Er steigt aus der Fähre von Chios aus, zusammen mit seinen Brüdern. Die griechische Polizei lässt sie nicht mehr weiterziehen. "Wartet noch eine Woche", sagen die Beamten. Anas schlägt sein kleines Zelt auf einem Parkplatz auf. Es ist der 25. Februar. So lange leben er und seine Brüder schon auf E1, der ersten der zwölf Anlegestellen im Hafen von Piräus, an einem Ende des hufeisenförmigen Beckens. "Wir warten auf nichts", sagt der 34-jährige IT-Ingenieur.

Seit die österreichische Regierung ihren Kurs geändert und im Verein mit den Westbalkanstaaten die Grenzen geschlossen hat, stecken auf dem griechischen Festland knapp 46.000 Flüchtlinge fest. 8000 weitere sind es mittlerweile auf den Inseln. Doch für sie gilt das Abkommen, das die EU mit der Türkei schloss. Sie werden abgeschoben, mit oder ohne Asylverfahren.

Nur 860 Menschen umgesiedelt

Anas, der Syrer, sitzt in einem anderen Film. Der heißt Umsiedlung. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sie auf einem ihrer Gipfeltreffen im Herbst vergangenen Jahres beschlossen. 160.000 Kriegsflüchtlinge aus Griechenland und Italien werden auf die EU-Länder verteilt, so lautete die Abmachung. Nur 860 Schutzsuchende sind bisher tatsächlich aus Griechenland ausgeflogen worden. 0,5 Prozent. Österreich beteiligte sich bisher nicht an der Umsiedlung.

Wie schlägt man die Heringe eines Zelts in den Asphalt von Piräus? Gar nicht. Die kleinen iglu-förmigen Zelte auf dem Hafenpier werden durch Plastikruten über Kreuz gespannt. Praktisch freischwebend über dem Boden und irgendwie recht ähnlich der Situation ihrer Bewohner. "Ich glaube niemandem mehr", sagt Anas, zermürbt nach zwei Monaten auf dem Hafenkai: "Nicht dem UNHCR, nicht der griechischen Regierung und auch nicht den anderen in Europa."

Infozettel mit Skype-Verbindung

Von Woche zu Woche hätten das Flüchtlingshilfswerk der Uno und griechische Regierungsvertreter die Menschen von E1 vertröstet. Die Registrierung für die Umsiedlung beginne in Kürze, versprachen sie. Ausgeteilt wurde am Ende ein Zettel der Asylbehörde von Attika. Auf dem Infozettel steht ein Name für eine Skype-Verbindung: asylum.service.relocation. Montag bis Mittwoch zwischen neun und zehn Uhr vormittags hebt jemand ab, verspricht der Behördenzettel, freitags gar bis elf Uhr.

Anas ruft jeden Tag an, so wie 12.000 andere Flüchtlinge in Attika, und auch zu den zwei Nachmittagsstunden, die mittlerweile eingeführt wurden. Anas zeigt das Display seines Mobiltelefons mit der langen Liste der roten Telefonhörer: keine Verbindung zur Skype-Asylbehörde. "Ich komme nicht durch. Das alles hier ist ein Scherz."

Alles im Krieg verloren

Anas heißt natürlich nicht Anas. Seinen richtigen Namen und den seiner Heimatstadt will er nicht nennen, der Verwandten wegen, die in Syrien zurückgeblieben sind. Die Familie war reich, so erzählt er, ebenso Anas und die älteren Brüder. Anas arbeitete als IT-Spezialist für ein russisches Unternehmen in Syrien, später für eine Universität, so erzählt er. Der Krieg hat ihnen alles genommen. Ihre Heimatstadt im Nordosten war mit einem Mal vom "Islamischen Staat" umzingelt.

Einen Monat dauerte die Flucht. "Hätten sie uns gefangen, dann hätten sie uns umgebracht", sagt er über den IS. Sein Telefon ist voll mit Fotos – vom großen Haus der Familie, das es nicht mehr gibt, und von Leichen auf den Straßen nach einem Bombenangriff, blutig und verstümmelt.

4500 Flüchtlinge harrten noch vor einem Monat im Hafen von Piräus aus. Trotzig und ungläubig, weil sie nicht wahrhaben wollten, dass sich die Landesgrenzen nach Europa nicht mehr öffnen würden. Mittlerweile hat die griechische Regierung ein neues Lager auf einem Werftgelände bauen lassen, mit Wohncontainern und fließendem Wasser.

Urlaubssaison beginnt

Jeden Tag werden Flüchtlinge vom Hafen in Piräus zum Werftdock Skaramagas übersiedelt. Denn die Urlaubssaison beginnt. Wenn sie zu den Fährschiffen gehen, sollen die Touristen keine Flüchtlingszelte mehr sehen und Wäsche, die zum Trocknen auf Büsche gehängt wird, oder arabische Frauen, die Kinderwägen an der Kaimauer entlangrollen.

Das neue Lager aber ist nur für Familien. Alleinstehende Männer müssten in Lager mit schlechteren Bedingungen wie auf dem Gelände des früheren Athener Flughafens Elleniko. Anas weigert sich. Er hat ohnehin einen Verdacht. In drei Monaten läuft die vorläufige Aufenthaltsgenehmigung aus, die Flüchtlinge auf dem Festland von der griechischen Polizei erhalten haben. "Danach", sagt Anas, "werden sie auch uns in die Türkei zurückschicken. Im Abkommen der EU gibt es sicher eine geheime Passage dazu." (Markus Bernath aus Athen, 2.5.2016)