Kunst erfreut sich zusehender Beliebtheit bei Investoren. Aktienpreise können ins Bodenlose fallen – die Preise für Werke weltberühmter Maler eher nicht. Wer ein Bild kauft, um es später teuer weiterzuverkaufen, muss es gut einlagern.

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Der Kunsttransport ist sein Metier: Fritz Dietl.

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Es gibt Menschen, die kaufen ein teures Gemälde, um es im Wohnzimmer aufzuhängen und herzuzeigen. Und andere, die es wegsperren und warten, dass es noch wertvoller wird. Das ist dann ein Fall für Fritz Dietl.

Der Österreicher lagert Bilder und Skulpturen in einem Kunstlager in Delaware ein. Solche Aufbewahrungsstätten für Kunstschätze im Wert von hunderten Milliarden Dollar gibt es in Luxemburg, Genf und Schanghai. Unternehmer versuchen derzeit, das Geschäftsmodell in jenem US-Bundesstaat zu etablieren, der seinen Ruf als Steueroase stolz vor sich herträgt. Ganz vorn mit dabei ist Dietl.

Er hat im vergangenen Herbst in einer früheren Erdnussverpackungsfabrik seine Lagerhalle namens Delaware Freeport eröffnet. Sicherheit, Diskretion und ein gut geregeltes Raumklima bietet Dietl in dem zwischen New York und Washington gelegenen Depot an. Aber wie kommt ein Österreicher dazu, ein Kunstlager in Delaware zu eröffnen, noch dazu, wo Freeports spätestens seit der Veröffentlichung der Panama Papers im Verdacht stehen, etwas Anrüchiges an sich zu haben?

American Dream

Wer Antworten sucht, muss Fritz Dietl treffen. Die Zentrale seines Unternehmens Dietl International befindet sich im siebten Stock eines Bürogebäudes in Manhattan. Dunkle Brille, blaues Shirt: Dietl, Anfang 50, ist ein selbstbewusster, lockerer Typ. Hinter dem Schreibtisch steht ein Motorrad. Ein Unikat der Marke Walt Siegel, deren Gefährte ab 30.000 Dollar zu haben sind. "Man kann sagen, dass ich den amerikanischen Traum lebe", sagt der passionierte Biker.

Der Österreicher kommt 1988, mit 25 Jahren, nach New York. In Wien ist er von der Schule geflogen und hat eine Lehre als Speditionskaufmann absolviert. In den USA will er Erfahrung sammeln.

Dietl bleibt in New York, weil er eine Nische findet: Er gründet ein Kunstreisebüro. Wer ein Gemälde in New York kauft und es nach Asien oder Europa verschiffen lassen will, wendet sich an ihn, um den Transport zu organisieren. Ein Förderer gibt ihm Startkapital.

Das Unternehmen wächst, heute zählt Dietl International mit 70 Mitarbeitern zu den Marktführern in der Kunstlogistik. Seit vergangenem September erprobt Dietl in Delaware ein neues Geschäftsfeld. Die Idee ist simpel: Wer in New York bei einer Auktion ein Kunstwerk erwirbt, muss 8,8 Prozent Umsatzsteuer bezahlen. Bei einem Kaufpreis von zehn Millionen sind das 880.000 Dollar.

Delaware ist einer von fünf US-Bundesstaaten, in denen es keine Umsatzsteuer gibt. Der Trick: Auf in New York erworbene Kunstwerke fällt keine Umsatzsteuer an, wenn der Käufer sie nach Delaware ausliefern lässt. Die Werke dürfen auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht in die Stadt verbracht werden, weil sonst die Abgabe fällig wird.

Neben Dietl haben vor kurzem auch die US-Firma Atelier und der New Yorker Logistiker Crozier Kunstlager in Delaware eröffnet. Sie alle bieten Investoren an, ihre Werke gegen eine Gebühr und steuerfrei aufzubewahren.

Ansturm auf Delaware

Aber warum boomt das Geschäft in Delaware? Darauf gibt es zwei Antworten. Die erste hat mit der Rolle New Yorks als Umschlagplatz zu tun. Weltweit wurden laut Ökonomen im vergangenen Jahr Kunstwerke im Wert von 63 Milliarden US-Dollar verkauft. Fast die Hälfte des wachsenden Geschäftes (siehe Grafik) wird in den USA gemacht und dort fast ausschließlich in New York.

Dietl und seine Konkurrenten sagen, dass sie vom Kunst-Boom in den USA profitieren, weil zusätzliche Lagerplätze gefragt sind.

Doch die Entwicklung könnte auch damit zusammenhängen, dass die traditionellen Freeports in Europa in so großen Schwierigkeiten stecken, dass Investoren versucht sein könnten, einen Bogen um sie zu machen. Ein Freeport ist ein Zollfreilager. Ursprünglich wurden sie von Händlern genutzt, um Autos oder Teppiche zollfrei zwischenzulagern. Heute haben sie sich zu Megatresoren für die Kostbarkeiten der Reichen gewandelt.

Am prominentesten ist das Zollfreilager in Genf. Es ist so groß wie 22 Fußballfelder und gilt als größtes Museum der Welt – nur darf in den Sicherheitskomplex niemand hinein. Wegen seines guten Rufes nutzten viele Amerikaner den Bunker. Neben Gemälden sollen hier Oldtimer und Wein gelagert sein.

Das Prinzip ist das gleiche wie in Delaware: Wer in New York ein Bild kauft und es ins Ausland verbringt, bekommt die Mehrwertsteuer zurückerstattet. Im Genfer Freilager fällt kein Importzoll an.

Schweizer Staatsanwälte haben vor wenigen Tagen ein Gemälde des italienischen Malers Amedeo Modigliani (1884-1920) im Genfer Freeport beschlagnahmt. Das Gemälde ("Sitzender Mann") war in den Panama Papers aufgetaucht. Es war dem jüdischen Kunstsammler Oscar Stettiner von den Nazis geraubt worden und galt seit 1945 als verschollen.

Die Nahmads, eine libanesisch-italienische Sammlerfamilie, erwarben das Bild bei einer Christie's-Auktion in London in den 1990er-Jahren. Der Verkäufer blieb anonym. Als die Familie erstmals gerichtlich mit Ansprüchen der Erben Stettiners konfrontiert wurde, bestritt sie, im Besitz des Gemäldes zu sein. Die Panama Papers zeigten, dass die Familie das Werk über eine panamaische Briefkastenfirma in Genf bunkerte.

Diebesgut entdeckt

Es sind nicht die ersten Negativschlagzeilen. Im Jänner übergab die Schweizer Polizei zwei etruskische Sarkophage von hohem Wert an die italienische Polizei, die 15 Jahre in Genf eingelagert gewesen waren. Die Sarkophage waren bei illegalen Ausgrabungen gefunden und versteckt worden.

Die Vorfälle deuten auf ein tiefgreifenderes Problem hin. Zollfreilager werden seit kurzem generell bezichtigt, anfällig für kriminelle Aktivitäten wie Geldwäsche und Steuerbetrug zu sein.

Nikolaus Barta weiß, warum. Der Wiener ist ein führender Versicherungsmakler für Kunstobjekte. "Der Kunstmarkt ist einer der wenigen nicht regulierten Märkte", sagt er. Wer heute viel Geld zur Bank trägt, muss belegen, woher die Mittel stammen und wem sie gehören. In den meisten Freeports existieren solche Vorschriften nicht. Ausweisen muss sich nur, wer die Einlagerung beauftragt.

Der Eigentümer eines Gemäldes und dessen Wert können verborgen bleiben. Die Anonymität zählt viel am Kunstmarkt. Käufer und Verkäufer schalten regelmäßig Strohmänner dazwischen. Barta: "Wer einen Picasso kauft, will aus Sicherheitsgründen nicht, dass die halbe Welt davon erfährt." Hinzu kommt, dass eine zentrale Aufsicht am Kunstmarkt, wie etwa für Finanzgeschäfte, fehlt.

Dieses Gemisch führt dazu, dass "Zollfreilager zunehmend Gefahr laufen, zur Verschleierung und zum Waschen von Vermögenswerten kriminellen Ursprungs missbraucht zu werden", heißt es in einem Schweizer Regierungsbericht aus dem Jahr 2015.

Die Laster rollen

Die Eidgenossen versuchen gegenzusteuern. Seit 2016 gilt, dass die Eigentümer von Werken in Freeports registriert werden müssen. Ob das in der Praxis funktioniert, weiß niemand. In Schweizer Kunstlagern sind Waren im Wert von 100 Milliarden Franken gebunkert, der Aufwand ist enorm.

Fritz Dietl kennt die Geschichten über Freeports. Er weiß, dass Delaware ein Mekka für Briefkastenfirmen ist. Ist das nicht eine gefährliche Kombination – kann es sein, dass Verbrecher beginnen, anstelle von Banken seine Lager aufzusuchen? Dietl hält das für unsinnig. Schwarze Schafe gebe es, "dass aber in Freeports so viel versteckt wird, ist eine Geschichte der Regenbogenpresse", sagt er.

Er verlange von allen Kunden einen Ausweis. Nicht Diskretion mache sein Lager in Delaware interessanter als jenes in Genf, sondern die Tatsache, dass US-Kunstsammler sich den Transport in die Schweiz sparen können. Die Lagerhalle des Österreichers in Delaware ist mit 3000 m2 noch klein. Dietl sagt, dass die Nachfrage steige. Einmal pro Woche schickt er einen Lkw mit Kunstwerken von New York nach Delaware. Bald sollen die Laster öfter rollen. (András Szigetvari, 1.5.2016)