STANDARD: Die Sicherheitslage im Jemen hat sich seit dem Eingreifen Saudi-Arabiens dramatisch verschlechtert. Doch sie war doch auch schon vor Ausbruch der Kämpfe schlecht.

Gerlach: Einer der Forschungsschwerpunkte des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), das seit fast 40 Jahren im Jemen ist, liegt in der Oase von Ma'rib mit ihren Städten und Palästen, Tempelanlagen, Friedhöfen und dem großen Damm aus dem ersten Jahrtausend vor Christus. Dort haben wir arbeiten können, solange es ruhig war. Die Lage hat sich aber tatsächlich im Laufe der letzten Jahre dramatisch verschlechtert. Wir haben darauf dahingehend reagiert, dass wir einerseits Wächter vom jeweiligen Stamm für den Grabungsplatz, sowie für uns als Team angestellt haben. Andererseits hatten wir ab 2009 zudem auch noch Militär von der Zentralregierung in Sanaa.

Diese beiden Komponenten zusammen haben uns in diesen Krisenregionen geschützt. Vor allem aber der lokale Stamm war Garant dafür, dass man nicht entführt wurde, weil sie für die Sicherheit gebürgt haben. Problematisch war es, wenn man das Stammesgebiet verließ und die Straße, einen quasi rechtsfreien Raum, erreichte. Da benötigte man dann auf jeden Fall Militärschutz, um zurück nach Sanaa zu kommen.

STANDARD: Nun herrscht Krieg im Jemen. Aber sind die jemenitischen Kulturgüter überhaupt direkt von den Kämpfen betroffen?

Gerlach: Ja. Vor allem seit März 2015, seit dem Eingreifen der saudi-arabischen Koalition und den folgenden Luftangriffen auf den Jemen. Wir müssen leider in zunehmendem Maße verzeichnen, dass gerade die Fundplätze aus dem frühen ersten Jahrtausend v. Chr. im Zuge dieser Kampfhandlungen zerstört werden.

Archäologische Stätten sind aber nur das eine. Es gab auch massive Luftschläge u. a. auf die Altstadt von Sanaa, die zum Unesco-Kulturerbe gehört. Das wird oft vergessen: Im Jemen gibt es auch eine einzigartige mittelalterliche Architektur. Jedes Altstadthaus in Sanaa etwa, aber auch unzählige Dörfer sind für sich bereits bedeutende Kulturstätten. Das sind häufig in sich geschlossene, teilweise rezent kaum überformte historische Siedlungsensembles. Die Altstadt von Sada zum Beispiel, die jetzt durch saudische Luftangriffe völlig zerstört ist, stand auf der "Tentative List" der UNESCO. Es gibt viele solcher Kulturstätten, die bei uns in Europa alle unter Denkmalschutz stehen würden.

In der Stadt Dhamar wurde ein relativ neues Museum durch einen Bombenangriff völlig zerstört. Dort vernichtete dieser einzige Angriff weit über 10.000 Objekte unwiederbringlich. Das DAI hat bereits frühzeitig gemeinsam mit internationalen Kollegen eine Liste mit allen archäologischen Stätten und Museen zusammengestellt. Diese übergab die Unesco umgehend der saudi-arabischen Militärkoalition – mit der dringenden Bitte, diese Plätze nicht anzugreifen. Leider sieht die Realität aber anders aus. Wenn vermutet wird, dass sich dort gegnerische militärische Einrichtungen befinden, wird auf die Kulturstätten keine Rücksicht genommen. Es gibt da anscheinend oft diese Haltung: 'Who cares, dann geht eben ein ganzes Museum oder ein alter Tempel kaputt. Hauptsache, wir kommen mit unseren politischen Zielen voran.' Aufgrund dieser Einstellung gibt es wohl auch letztlich Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen – obwohl dies konträr zu jeglicher Vernunft und Moral steht.

STANDARD: Gibt es neben Schäden durch Kämpfe auch Raubzüge in archäologischen Stätten und Museen, wie wir das bereits in Syrien und im Irak gesehen haben?

Gerlach: Das ist leider teilweise auch der Fall. Es finden zudem religiös motivierte Zerstörungen statt. Gerade im Süden des Landes, im heutigen Hadramawt, sind Zerstörungen von Heiligengräbern zu beobachten, die der radikalen wahhabitischen Auslegung des Islams nicht entsprechen. Die wurden teilweise bereits vor dem Krieg beschädigt, doch ihre gezielte und vollständige Zerstörung findet heute statt, da in den betroffenen Regionen keine staatliche Kontrolle mehr existiert bzw. Extremisten die Macht übernommen haben. Und es werden Museen geplündert: Das passiert ebenfalls durch Al-Kaida und andere jihadistische Gruppen vor Ort. Vor allem Sinjibar, die Provinzhauptstadt von Abian, ist nachweislich davon betroffen. Zum Glück ist es aber zumindest bisher nicht zur Ausradierung eines ganzen Fundplatzes aufgrund religiöser Motivation gekommen. Doch gestalten sich die massiven Plünderungen an vielen Orten als existenzbedrohend für die archäologischen Stätten. Anzahl und Intensität dieser Zerstörungen nehmen seit Beginn der militärischen Auseinandersetzung deutlich zu.

STANDARD: Merkt man diese Plünderungen auch auf dem Markt für Kulturgüter?

Gerlach: Ja, was Südarabien betrifft verfolgen wir vom DAI aus auch den Antiken-Markt und arbeiten mit dem deutschen Bundeskriminalamt (BKA) und Interpol zusammen. Im Zuge dessen bekommen wir immer wieder Objekte zur Begutachtung, die im Zoll liegen oder auf europäischen Auktionen angeboten werden. Zum Glück handelt es sich oft um Fälschungen, doch kommen heute auch vermehrt echte Stücke mit gefälschten Dokumenten ins Land. Auffallend ist dabei, dass jetzt immer häufiger Objekte mit der Herkunftsangabe "Aus alten Sammlungen" auftauchen. Das quantitive Anwachsen von Antiken aus Kriegsgebieten aus anscheinend alten und damit zumindest offiziell legalen Altbeständen wundert einen dann schon. Letztlich sehen wir dabei nur die Oberfläche des Handels – nämlich was in Auktionshäusern – meist legal – angeboten oder vom Zoll abgefangen wird. Wir wissen aber von einem umfangreichen und wohlorganisierten Schwarzmarkt. Dabei werden die Objekte außerhalb unserer direkten Kontrolle verschoben. Unsere Kenntnisse dazu sind äußerst gering. Mal erhalten wir indirekte Informationen, häufig aber eben auch gar nicht.

STANDARD: In Syrien und im Irak gibt es einen vom "Islamischen Staat" (IS) organisierten Handel mit Kulturgütern. Wie sehr sind die Raubzüge im Jemen organisiert?

Gerlach: Anders als in Syrien und im Irak, habe ich derzeit keinerlei Information, dass im Jemen jihadistische Organisationen aus dem Antikenhandel Profit schlagen. Wir wissen aber, dass religiös motiviert zerstört wird. Dies geschieht, weil es sich entweder um Zeugnisse einer präislamischen Kultur handelt oder um Hinterlassenschaften und damit Symbole einer anderen islamischen Glaubensausrichtung; in beiden Fällen handelt es sich um Kulturen von sogenannten Ungläubigen, deren Erhalt, aus Sicht der Extremisten, weder lohnenswert noch wünschenswert ist.

STANDARD: Sind die Plünderungen also in keiner Weise organisiert?

Gerlach: Im Süden des Jemen ist das sicher vor allem durch radikale Gruppen und Kriminelle organisiert, sonst würden die Objekte nicht so problemlos außer Landes kommen. Aber die Gesamtsituation im Jemen ist nicht vergleichbar mit Syrien, wo vor allem islamistische Gruppen das Geschäft kontrollieren. Im traditionellen Jemen bestimmen die Stammesgesellschaften über mögliche Raubgrabungen auf ihrem Territorium. Entweder dulden sie nur die Plünderungen oder sind durch ihre Stammesmitglieder auch direkt an der Durchführung und Organisation beteiligt.

Die jeweiligen Raubgräber verdienen dabei natürlich nur wenig, mehr aber als als einfacher Tagelöhner auf dem Feld. Wirklich Verdienen tun erst die Zwischenhändler. Jemand, der selbst eine Raubgrabung durchführt, bekommt vor Ort nur wenige Dollar. Mit zunehmender wirtschaftlicher Not bildet so etwas aber eine Einkommensquelle, mit der man seine Familie ernähren kann. Ich will das nicht entschuldigen, jedoch muss man verstehen, dass dies ein Prozess ist, der durch Armut in Gang gesetzt und durch den Krieg umso mehr verstärkt wird. Die "Bösen" sind also nicht jene, die da ausgraben, sondern es sind die Abnehmer, die überhaupt erst einen Markt für Antiken schaffen.

STANDARD: Irgendwie müssen die Objekte schließlich bei den Abnehmern landen. Wie funktioniert das?

Gerlach: Man hat da immer nur indirekte Quellen, aber die Möglichkeiten sind beschränkt. Es gibt die grüne Grenze nach Saudi-Arabien und in den Oman, die hunderte Kilometer lange, kaum zu kontrollierende Küstenlinie sowie die massiv eingeschränkten, und damit zurzeit für den Schmuggel am unattraktivsten Flugverbindungen. Am einfachsten kann man die Antiken durch die Wüste außer Landes schaffen. Korruption spielt sicher immer eine Rolle. Man muss schließlich Grenzer bestechen, damit etwas außer Landes kommt oder Behördenmitarbeiter zur Ausstellung von Papieren zu überreden. Über die Wege selbst ist im Detail leider sehr wenig bekannt. Ich weiß, dass vor dem Krieg relativ viel in den Golfstaaten an den Flughäfen beschlagnahmt wurde. Viele Objekte werden dabei aber unentdeckt geblieben sein. Ein Großteil der Antiken verlässt das Land heute wohl über den Landweg.

STANDARD: Hat sich der Markt für gestohlenen Kulturgüter seit dem Ausbruch der Kampfhandlungen vergrößert?

Gerlach: Es hat signifikante Steigerungen gegeben. Seit Syrien auf der roten Liste steht, wagt zwar kaum ein Kunsthändler im Westen überhaupt noch, ein Stück offiziell anzubieten. Auf dem Schwarzmarkt aber schon. So landen eben immer wieder Stücke mit gefälschten Papieren beim Zoll.

STANDARD: Wer sind letztlich die Abnehmer?

Gerlach: Öffentliche Museen in Deutschland und den meisten anderen europäischen Museen muss man in jedem Fall ausschließen. Bei Auktionshäusern sehen wir, dass Objekte aus sogenannten "alten Sammlungen", d.h. vor 1970 erworben und damit legal im Handel, angeboten werden. Aber eben nur ein Bruchteil der südarabischen Antiken landet in Auktionshäusern. Der größte Teil ist das, was wir gar nicht greifen können. Das ist der Schwarzmarkt, irgendwelche privaten Sammler, wo solche Objekte dann verschwinden. Wo genau sie verschwinden, dazu gibt es keine Studien. Aber wir wissen von Abnehmern in Europa, Amerika und auch in der Golfregion. Die staatlich-öffentlichen Museen in Deutschland kaufen zum Beispiel nichts mehr auf, was auch nur annähernd aus einem nicht gesicherten Kontext stammt. Das ist allerdings eine Politik, die leider noch nicht überall praktiziert wird. Aber in Europa sind wir grundsätzlich auf einem guten Weg.

STANDARD: Reicht das denn aus?

Gerlach: Nein, das reicht nicht aus. Wir müssen unsere Gesetze ändern. In Deutschland ist das mit der anstehenden Novellierung des Kulturgüterschutzgesetzes auf einem guten Weg, indem der Import von Kulturgütern ganz neu definiert wird und man beispielsweise auch eine Genehmigung des jeweiligen Landes besitzen muss, aus dem eine zu verhandelnde Antike stammt. Der teilweise heftige Widerstand aus Kreisen des Kunsthandels spricht für die neuen Regelungen. Unabhängig davon sollte man aber auch europaweit eine Lösung finden. Sicherlich gibt es in solchen Zeiten auch immer Bedarf, das Personal in Behörden aufzustocken. Beim DAI arbeiten wir heute viel intensiver im Bereich des Kulturgüterschutzes als noch vor 15 Jahren.

Ein sinnvolles Instrument zur Bekämpfung des illegalen Antikenhandels ist auch die sogenannte Rote Liste. Das ist eine visuell leicht zu erfassende beispielhafte Zusammenstellung von Objektgattungen und Typen, die häufig im Kunsthandel illegal vertrieben werden, also bestimmte Gruppen, zum Beispiel Rollsiegel aus dem Irak oder bestimmte Reliefdarstellungen aus Syrien. Derartige Rote Listen gibt es bereits für viele Länder wie Afghanistan, Libyen, Irak und Syrien, und wir arbeiten gerade auch an so einer Zusammenstellung für den Jemen. So etwas hilft den Behörden, dem Zollbeamten, der am Flughafen sitzt und ein antikes Objekt grob einem Land, einer Region und einer Gattung zuordnen muss. Mit Hilfe dieser Liste kann er verstärkt kritische Fragen zu den Antiken stellen und die Antworten bereits frühzeitig überprüfen: Was sind das für Papiere? Wer hat sie ausgestellt? Wo kommt das Objekt wirklich her? Wichtig ist eine internationale Vernetzung, die wir zurzeit ausbauen.

STANDARD: Wie erfahren Sie von solchen Objekten?

Gerlach: Das deutsche BKA entsendet regelmäßig Mitarbeiter zu Auktionshäusern, um dort zu überprüfen, welche Objekte angeboten werden. Und wenn dabei Antiken aus Südarabien sind, dann bekommen wir Bilder davon und nehmen dazu Stellung. Wir schicken Abbildungen zu unseren jemenitischen Partnern, die überprüfen, ob das möglicherweise aus einem ihrer Museen stammt. Teilweise können wir, soweit vorhanden, mit den entsprechenden Fachleuten auch die Inschriften von Objekten übersetzen und sagen: "Moment, das stammt ja aus einer Region, wo erst kürzlich Ausgrabungen vom DAI durchgeführt wurden. Das stammt definitiv aus einer Raubgrabung!". Im Jemen können solche Feststellungen relativ problemlos getroffen werden, da wissenschaftliche Grabungen großteils erst Ende der 70er-Jahre ihren Anfang nahmen. Folgerichtig bedeutet dies, dass alle Objekte, die vor 1970 aus sogenannten "alten Sammlungen" stammen, gar nicht aus möglichen vertraglich abgesicherten Fundteilungen im Kontext wissenschaftlicher Grabungen stammen können, weil es diese nämlich schlichtweg gar nicht gab. Bis auf Zufallsfunde müssen daher all diese Antiken aus Raubgrabungen oder Plünderungen von Museen stammen.

STANDARD: Kann man in der jetzigen Situation eigentlich etwas vor Ort machen, um den Handel zu verhindern?

Gerlach: Wir versuchen unser Möglichstes. Wichtigster Ansatzpunkt ist die Verhinderung von Raubgrabungen. An den Orten, an denen das DAI ausgegraben hat, haben wir daher Wächter des jeweiligen Stammes angestellt, die für uns die Fundorte bewachen. Darüber hinaus bin ich mit den Scheichs jener Stämme telefonisch in Kontakt, bespreche Probleme und demonstriere ganz allgemein unser Engagement für die Grabungsstelle und die Bewohner der Region. Das klappt bisher ganz gut und schafft Vertrauen. Man muss natürlich dafür sorgen, dass die Bezahlung dieser Wächter in Kriegszeiten weiter funktioniert. Man muss hoffen, dass diese Wächter sich gegen andere Interessen auch aus dem gleichen Stamm durchsetzen können. Hier kann letztlich nur der Scheich als oberste Instanz helfen.

Andererseits versuchen wir die jemenitische Antikenbehörde in jeglicher Form zu unterstützen. Das erfolgte, solange es ging, also bis 2013, noch vor Ort, heute hauptsächlich über bestimmte Fortbildungsmaßnahmen. Wie dokumentiert man zum Beispiel die Objekte, sodass man sehr schnell vergleichen kann, was auf dem Schwarzmarkt ist und was nicht. Das sind Dinge, die wir von der Ferne aus machen können. Ansonsten bleibt uns nur abzuwarten und zu hoffen. (Stefan Binder, 5.5.2016)