Bild nicht mehr verfügbar.

Die Masurische Seenplatte im Nordosten Polens bietet sich noch vielerorts für einen idyllischen Hausboot-Urlaub an. Bei Biebrza kann man Kuhtreiber dabei beobachten, wie sie ihr Vieh vom Wasser aus dirigieren.

Foto: picturedesk / laif / Edgar Rodtmann

Zärtlich klatschen die Wellen gegen den Bug, so als wollten sie nicht zu heftig schmatzen und die Passagiere bei ihrem Sonnenbad stören. Da ist der kleine Dieselmotor schon mutiger. Lautstark und im Takt tuckert er vor sich hin.

Wer auf Deck seines Hausboots sitzt oder liegt, meint die Welt bestehe nur aus Wasser, Himmel, Wald und manchmal einer Wolke. Am Ufer ziehen nur ein paar Erlen und Eschen in Zeitlupe vorbei. Menschen trifft man in der Gegend um den Löwentinsee im polnischen Ermland selten. Die letzte Eiszeit hat in den Masuren mehr als 3.000 Seen geschaffen. Darunter manche so klein wie ein Schwimmbad, die in keiner Karte verzeichnet sind, und andere so groß als wären es Binnenmeere. Viele dieser Seen sind durch Kanäle miteinander verbunden. Von Nord nach Süd kann man mit dem Hausboot gut zwei Wochen lang fahren ohne dieselbe Strecke zweimal zu nehmen. Einen Führerschein braucht man nicht.

Verliebt und geblieben

Hendrick Fichtner, ein deutscher Vermessungsingenieur, der sich in Polen verliebte, heiratete und im Land blieb, vermietet in den Masuren Hausboote. "Es begann damit, dass uns immer mehr Leute danach fragten, wo man in den Masuren denn ein Boot ausleihen könne", erzählt er. Mittlerweile ist aus dem kleinen Verleih ein Reiseveranstalter geworden. "Das Schöne an diesem Gebiet ist, dass man hier keine Schleusen passieren muss wie in vielen anderen Revieren", sagt er.

Neulingen gibt er eine Einweisung. Er demonstriert, wie die Dusche an Bord des Modells "Nautika 1.000" funktioniert und zeigt, wo die Steckdosen versteckt sind. Verkehrsregel gibt es nur eine wichtige: Immer in der Fahrrinne zwischen den grünen und roten Bojen bleiben. Hat man nicht vor zu fischen, zeigt das Borddisplay mehr zur Belustigung als zur Information an, ob sich unter dem Boot gerade Fischschwärme befinden.

Skipper hilft einparken

Auf der Nautika brauchen sich die Passagiere um fast nichts zu kümmern – oder um gar nichts, wenn sie einen Skipper dabeihaben. Das ist praktisch, wenn man etwa im kleinen Yachthafen von Bogaczewo am Boczne-See ohne Schäden anlegen will. Oder an Land nicht gleich den Weg zum Lokal Fischerhütte findet. Dort wird jeden Abend der Fang des Tages serviert, an diesem Tag ein kapitaler Barsch mit Ingwer und Pfeffer, der gleich doppelt so gut schmeckt, wenn man hungrig ist. Die Fahrräder, die der Wirt vermietet, bieten nämlich eine gute Gelegenheit für etwas Bewegung.

Eine Radtour am Boczne-See führt durch Baumalleen, vorbei an Mais- und Kartoffelfeldern. Die Bauernhöfe liegen so weit auseinander, dass sich die Einheimischen über jeden Besuch freuen. Der 73-jährige Janos etwa grüßt in Flanellhemd und Patschen über den Gartenzaun und erzählt mit Händen und Füßen von seinen fünf Enkeln und drei Urenkeln.

Zeit für die Sauna

Zurück auf dem Boot bricht die Nacht so schnell herein, als hätte jemand die Taschenlampe ausgeschaltet. Nun ist die richtige Zeit, um in die Sauna zu gehen. Einige Fahrminuten von Bogaczewo entfernt dümpelt neuerdings ein Saunafloß auf dem See – ganz ohne Verbindung zum Festland. Auf den Tischen vor dem Schwitzraum flackern Teelichter.

"Meine Frau Monika liebt das Wasser – ich die Hitze. So sind wir auf die Idee gekommen, eine Floßsauna zu bauen, damit wir uns beide wohlfühlen", erzählt Pawel Winnicki. Den ganzen Sommer über lebt das Paar in einem sechs Quadratmeter großen Zimmerchen neben der Sauna, um dort auf Kundschaft zu warten. Pawel macht Aufgüsse mit echtem Honig oder auch mit Wodka – wie es den Gästen gerade gefällt. Die blicken dabei durch riesige Fenster auf den See und die Lichter des Dorfes Rydzewo. Zur Erfrischung reicht ein Sprung in den See. Der Schlaf auf dem Hausboot fällt danach in Verbindung mit dem sanften Dümpeln besonders tief aus.

Warteschlangen im Mai

Nachdem die Fahrt durch den Lötzinger Kanal, der Verbindung zwischen Löwentin- und Kissainsee, zunächst flott weitergegangen war, kommt plötzlich alles ins Stocken. Mitten im Ort Giżycko vor dem ehemaligen Schloss stehen Haus- und Segelboote in einer langen Warteschlange. Am ersten Mai-Wochenende ist hier immer besonders viel los – im Wasser und an den Ufern. Die Anrainer feiern mit einer Bootsparade die Eröffnung der Schifffahrtsaison.

Es dauert einige Zeit bis der Brückenmeister die Drehbrücke geöffnet hat, damit alle passieren können. Die tonnenschwere und schon sehr betagte Lötzener Drehbrücke stammt aus dem Jahr 1889 und ist eine der letzten ihre Art. In den 1960er-Jahren hat man sie zwar mit einem Elektromotor ausgestattet, die Folge dieser Modernisierung war allerdings einebeschädigte Kaimauer. Seitdem wird sie wieder von Hand bedient.

Wasser unterm Kiel

Wer nach der abschließenden Durchquerung des Dargeimer Sees (Dargin) und des Mauersees (Mamry) noch einen besonderen Kick sucht, für den empfiehlt sich die Fahrt auf dem Oberlandkanal, dem Kanał Elbląski, drei Autostunden weiter westlich. Nach einem Bootswechsel auf ein kleineres Modell tuckert man hier die wie eine schnatternde Ente übers Wasser. Vor einem grasbewachsenen Hügel in Jelonki endet der Kanal schließlich.

Überall am Ufer stehen Schaulustige mit Fotoapparaten in der Hand und warten. Boote werden auf ein Eisengestell geschoben und vertäut. Wie von unsichtbarer Hand gesteuert, setzt sich schließlich ein Räderwerk in Bewegung, das die Schiffe als wären sie Standseilbahnen mit Hilfe von Stahlseilen den Hügel hinaufschiebt. Oben angekommen verlassen die Boote ihren Transporter, haben wieder Wasser unterm Kiel und können eigenständig weiterfahren.

Alter Ersatz für Schleusen

Zwischen Elblag und Ostroda gibt es fünf solcher schiefen Ebenen mit Aufstiegshilfe. Sie gleichen auf gut zehn Kilometer einen Höhenunterschied von 100 Metern aus und ersetzen dadurch rund 30 Schleusen. Das von einem Königsberger Ingenieur ausgeklügelte System wurde schon vor 150 Jahren gebaut, um Holz aus masuriaschen Wäldern bis zur Ostsee zu transportieren.

Heute benutzen ausschließlich Freizeitkapitäne oder Ausflugsschiffe den Kanal und die Seilwinden. Und weil die sogenannten Rollberge tatsächlich einzigartig sind und eine technisch aufwändige Renovierung bereits hinter sich haben, hofft man in den Masuren nun, die Anlagen bald zum Weltkulturerbe zählen zu dürfen. (Monika Hippe, 1.5.2016)