Ingrid Brodnig, das wurde in diesem Medium bereits besprochen, hat ein kluges Buch geschrieben. Die Profil-Kollegin hat sich den "Hass im Netz" vorgenommen. Nach Monaten irritierender und deprimierender Flüchtlingshetze im Internet hat sie nicht nur gefragt, warum die digitale Debatte so zornig ist, wer hinter den verbalen Eskalationen gegen einzelne Personen oder den "Mainstream" schlechthin steckt, mit welchen Methoden und Tricks User Diskussionen zur Entgleisung bringen. Sie hat sich auch damit befasst, was man dagegen tun kann, auch als Einzelperson.
Wie toxisch leichthin in der Unsichtbarkeit des Netzes dahingeschriebene Worte sein können, zeigt die Aufregung über die massenhaften sexuellen Übergriffe von "überwiegend südländisch aussehenden Männern" auf Frauen vor dem Kölner Dom in der Silvesternacht. Diese Debatte hat, das kann man in der Nachschau behaupten, die gesamte Flüchtlingsthematik vergiftet.
Ablehnender Grundton
Schon sehr früh mischte sich unter die Betroffenheit, die Verurteilung der (mutmaßlichen) Täter und die Solidaritätsbekundungen für die Frauen, die diesem Horror in Köln schutzlos ausgesetzt waren, ein ablehnender Grundton gegenüber Asylwerbern schlechthin.
Sehr bald wurde überhaupt die Rechtmäßigkeit ihres Hierseins angezweifelt, immer mehr war die Rede von "Asylbetrügern" und "Wirtschaftsmigranten". Aktivisten aus dem Pegida-, AfD- und anderweitig rechts gesinnten Umfeld befeuerten diese Haltung massiv. Es ging plötzlich darum, "unsere" Frauen zu schützen und das Sexualverständnis der Muslime, Afrikaner, Afghanen et cetera und überhaupt zu problematisieren.
Mainstream von Meinungen
Was im Netz passiert, wenn man sich einmal für diese Art der Diskussion interessiert hat, ist leicht erklärt: Das Web hilft einem dabei, sich relativ leicht von Andersdenkenden abzuschotten. Wer sich in Fundamentalopposition zum vermeintlichen "Meinungsmainstream" begeben will, findet in der digitalen "Echokammer" seine eigene Meinung permanent bestätigt. Andere Sichtweisen dringen gar nicht mehr durch, Facebook und Co vernetzen hilfsbereit mit Usern, die alle die gleichen Ansichten haben, laut schallt das Echo der eigenen Meinung digital zurück.
Das Blöde am Hass im Netz ist, dass er so ansteckend wirkt. Der Medienboulevard badete genüsslich in den sexuellen Grauslichkeiten und heuchelte moralische Entrüstung. Der diffamierende Grundton zog aber auch bald weitere Kreise. Seriöse Zeitungen und Magazine, konfrontiert mit massiven "Lügenpresse"-Beschimpfungen, publizierten "gegen den Strich gebürstete" Meinungen von Experten, die vor allem eines gemeinsam hatten: Sie waren grundsätzlich negativ eingestellt gegenüber den jungen Männern, die da "unbegleitet" Europa "überschwemmen".
Prävention und Verstärkung
Die Polizei, die sich in Köln die berechtigte Kritik gefallen lassen musste, dass sie nirgendwo war, als die Frauen sie am dringendsten gebraucht hätten, veröffentlicht nun verstärkt Vergewaltigungen, in die Asylwerber verwickelt sind – was man vor den Kölner Ereignissen so nicht bemerkte – nicht nur aus Fahndungs-, sondern auch aus "präventiven Gründen". Es ist wohl eine Art Verstärkerfunktion, die hier stattfindet: Weil erhöhtes mediales Interesse an diesem Thema herrscht, ist die Aufmerksamkeit aller darauf fokussiert, daher sieht man auch mehr, daher wird auch mehr berichtet, und so weiter.
Was dabei völlig untergeht: Der überwiegende Anteil an Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch passiert im engsten familiären oder Bekanntschaftsumfeld, Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Kinder ist leider über alle Schichten, Religionsbekenntnisse, Bevölkerungsgruppen und Ethnien verbreitet. Damit setzen sich die wenigsten Kommentatoren auseinander, viele schreiben lieber pauschalierend von "brandgefährlichen" und "besonders aggressiven" Afghanen, Irakern, Arabern et cetera.
Ablehnungsspirale
So dreht sich die Ablehnungsspirale immer weiter. In der ORF-3-Sendung "60 Minuten Politik", wahrlich kein Revolverblatt-Format des Fernsehens, hatte die grüne Abgeordnete Alev Korun kürzlich Mühe, gegen die Empörten der anderen Fraktionen zu Wort zu kommen – beziehungsweise den suggestiven Fragen der Interviewer etwas entgegenzusetzen. Ob sie nicht verstehen könne, dass die Wähler der FPÖ zulaufen, wo doch Vergewaltiger aus Afghanistan nach Absitzen ihrer Haftstrafe nicht einmal abgeschoben werden dürften?
Ernsthaft wurde dann erläutert, ob und unter welchen Bedingungen vielleicht doch eine Abschiebung möglich sei – dass den in Österreich verurteilten Tätern "daheim" in jedem Fall die Todesstrafe droht, wurde eher lässig weggewischt. Korun schien, zwischen den Sprechern all der anderen Parlamentsparteien, allein auf weiter Flur (und fast schon linksradikal), als sie auf Rechtsstaatlichkeit pochte und darauf, dass Österreich immerhin internationale Verträge (Menschenrechtskonvention) unterschrieben habe.
Zum Schweigen bringen
Zu erwähnen wäre noch, dass die Grüne in der Runde der empörten Männer (Otto Pendl, SPÖ, Werner Amon, ÖVP, Gernot Darmann, FPÖ, Nikolaus Scherak, Neos, Robert Lugar, Team Stronach) nur schwer zu Wort kam – bevor sie nicht x-mal betont hatte, wie furchtbar und verurteilenswert jede einzelne Vergewaltigung ist.
Auch das ist neu in dieser explosiven Stimmungslage: Frau muss extra betonen, dass sie gegen sexuelle Übergriffe ist – tut sie das nicht, kommt sie gar nicht erst zu Wort. Als ob es irgendeine Frau gäbe, die Gewalt an Frauen nicht verurteilen würde. Auch für dieses Phänomen kennt die Wissenschaft übrigens eine Bezeichnung: "Silencing" nennt man das. (Petra Stuiber, 2.5.2016)