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Alan Rusbridger glaubt daran, dass es in Zukunft große Umstellungen geben wird: Fossile Energieträger werden keine sichere Investitionsanlagen mehr sein.

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Sichtbar sind die Folgen der Erderwärmung zum Beispiel bereits an den Korallen des Great Barrier Reefs. Steinkorallen leben in Symbiose mit Zooxanthellen. Diese sorgen für die bunte Färbung, beginnen allerdings bei einer Temperatur von mehr als 29 Grad Celsius Giftstoffe zu produzieren. Die Korallen bleichen zunächst aus und sterben dann ab.

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Alan Rusbridger, ehemaliger Chefredakteur des "Guardian", hält den Klimawandel für alles andere als eine Frage der persönlichen Einstellung. Er sieht ihn als die große Gefahr für Umwelt und Gesundheit. Daher widmete er dem Thema seinen letzten großen Schwerpunkt "Keep it in the Ground" bei der renommierten britischen Tageszeitung. Am Dienstag ist er zu Gast bei den Erdgesprächen in Wien.

STANDARD: Sie waren 20 Jahre lang Chefredakteur und Herausgeber des "Guardian": Wie ist das Leben danach?

Rusbridger: Es ist eine spannende Zeit. Während des Semesters bin ich in Oxford (wo er Direktor der Lady Margaret Hall ist, Anm.). Ich genieße es auch, kein Herausgeber mehr zu sein.

STANDARD: Die letzte große Themenstrecke, die Sie als Chefredakteur geplant haben, war "Keep it in the Ground". Warum haben Sie zum Abschluss die Themen Klimawandel und Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gewählt?

Rusbridger: Als ich entschieden habe, den Chefredakteursposten abzugeben, habe ich überlegt, was ich bereuen werde. Das Einzige, woran ich denke konnte, war das Thema Klimawandel. Er wird tiefgreifende Auswirkungen auf unser Leben haben. Es war zwar nicht so, dass der Guardian in diesem Bereich schlechte Arbeit geleistet hätte. Aber ich denke, dass Journalismus als Ganzes noch keinen Weg gefunden hatte, mit dem Thema angemessen umzugehen.

STANDARD: Einige Medien sprachen sogar davon, dass damit die Grenzen des Journalismus ausgelotet wurden. War es ein Pilotversuch, wie Umweltjournalismus neu definiert werden muss, um mehr Leute zu erreichen?

Rusbridger: Wir haben redaktionsintern beratschlagt, was die Menschen dazu bringen würde, wieder mehr über Klimawandel und Divestment zu lesen. Wir haben beschlossen, eine Mischung aus klassischer Berichterstattung und Kampagne zu versuchen. Es gibt unterschiedliche Traditionen: In den USA geht zum Beispiel die Tendenz dazu, nur objektive Berichterstattung zuzulassen. In Großbritannien gibt es hingegen eine Tradition des Kampagnisierens im Journalismus. Wir haben das noch ein wenig weitergetrieben und auch Social Media bedient und uns mit NGOs vernetzt, um uns mehr mit Lesern zu vernetzen und unsere Botschaft noch besser zu transportieren.

STANDARD: Sie haben die journalistische Arbeit über Klimawandel einmal mit Gemüseessen verglichen. Das ist für viele mehr Pflicht als Genuss. Es gab im Rahmen von "Keep it in the Ground" eine weltweite Medienkooperation, an der in Österreich der STANDARD beteiligt war. Sollten dadurch wieder mehr Journalisten dazu motiviert werden, "Gemüse zu essen"?

Rusbridger: Ja, das ist eine Art zu sagen, dass es sich um Journalismus handelt, der gut für einen ist, auch wenn man ihn nicht immer genießt (lacht). Zudem war es eine Möglichkeit, auch unsere Berichte und Kommentare anderen Medien zugänglich zu machen.

STANDARD: Ein Leitmotiv war Divestment, also kein Geld mehr in fossile Energieträger zu investieren und dafür in nachhaltige Energie fließen zu lassen. Ist das ein Zukunftsmodell?

Rusbridger: Wir haben versucht, den Punkt zu treffen, wo wir echt Wirkung erzielen. Und Divestment erschien uns als unterschätzter Aspekt in der Debatte. Es gibt noch viel mehr Öl, Gas und Kohle, als gefahrenlos verbrannt werden könnte. Aber auch finanziell bergen Investitionen in fossile Brennstoffe Risiken.

STANDARD: Meinen Sie damit die strenger werdende Gesetzeslage zum Klimaschutz?

Rusbridger: Realität ist, dass es staatliche Regulierungen oder Interventionen geben wird. Die Anlagen in fossile Brennstoffe können dann nicht mehr das wert sein, was sie jetzt sind. Ich denke, dass der Groschen bei den Anlegern fallen muss. Natürlich kommt das finanzielle Risiko nicht nur von einer Bedrohung durch neue Regulierungen, sondern auch durch den zunehmenden Erfolg alternativer, sauberer Energiegewinnung. Wir glauben, dass es in Zukunft große Umstellungen geben wird. China beginnt schon damit, und Indien wird wohl folgen: Immer mehr Geld wird in erneuerbare Energie fließen anstatt in die Gewinnung von Kohle, Öl und Gas.

STANDARD: Was waren weitere Folgen von "Keep it in the Ground"?

Rusbridger: Spannend wurde es, als der Direktor der Bank of England eine sehr ähnliche Sprache wie der Guardian verwendete. Er sagte, dass die Menschen bei der Investition in fossile Brennstoffe vorsichtig sein müssen, da sie finanzielle Risiken birgt. Ich glaube, dass die Kampagne etwas erreicht hat, wenn sie damit endet, dass der Direktor der Bank of England die rote Flagge zeigt.

STANDARD: Veränderung entsteht auch, wenn die Gesellschaft Druck ausübt. Hat Journalismus bis zu einem gewissen Grad versagt, indem die Menschen zu wenig informiert wurden?

Rusbridger: Die Frage stellt sich: Warum ist das Thema nicht mehrmals im Monat auf den Titelseiten? Liegt es an den Lesern? In einem Zeitalter, in dem sofort evaluiert und gemessen werden kann, wie viele Rezipienten durch einen Artikel erreicht werden, erscheint das Thema Klimawandel nicht sehr beliebt. Einige Psychologen glauben sogar, dass es zu ernst für viele Menschen ist und die Leser sich nicht damit beschäftigen wollen. Aber ja, konventioneller Journalismus wird der wachsenden Problematik nicht gerecht.

STANDARD: Sind Sie mit dem Ergebnis des Klimagipfels zufrieden?

Rusbridger: Ich glaube, die Resultate sind besser, als viele Menschen gedacht haben. Es ist sehr schwierig für politische Entscheidungsträger, Maßnahmen zu treffen, die nicht unbedingt bei der Bevölkerung beliebt sind. Daher ist es umso wichtiger, darüber zu informieren, warum das wichtig ist. Manche Leute glauben, dass es sich bei dem Thema Klimawandel um eine Moralfrage handelt, wie sie das etwa auch bei Tabakkonsum glauben. Aber es gilt als anerkannt, dass der Klimawandel die größte Bedrohung und Gefahr für Umwelt und Gesundheit ist. (Julia Schilly, 28.4.2016)