Bissspuren auf dem Oberschenkelknochen eines Urmenschen aus der marokkanischen Grotte à Hominidés.

Foto: C. Daujeard/PLOS ONE

Paris/Wien – Für das Zusammentreffen früher Menschen mit großen Karnivoren im mittleren Pleistozän gibt es zwar viele Anhaltspunkte. Längst noch hatte die Gattung Homo, die auf zunehmend fettreiche und fleischliche Kost umsattelte, den Konkurrenzkampf um Nahrungsressourcen und Raum nicht für sich entschieden. Doch Nachweise unmittelbarer Interaktionen mit Raubtieren in dieser Periode sind selten. Nun berichtet ein internationales Forscherteam in "Plos One" vom Fund eines solchen Zeugnisses. Sie untersuchten Überreste eines 500.000 Jahre alten Urmenschen, die in einer Höhle bei Casablanca gefunden worden waren.

Die Analyse eines Oberschenkelknochens brachte dabei unterschiedliche Frakturtypen zutage, die eine eindeutige Interpretation zulassen: Bei den Löchern, Einkerbungen und Rillen an den Enden des Knochens muss es sich um kräftige Bissspuren von Raubtieren handeln. Die seit Ende der 1960er-Jahre freigelegten Funde aus der marokkanischen Grotte à Hominidés werden dem Homo rhodesiensis zugerechnet, der nach überwiegender Meinung von Experten als afrikanischer Vertreter des Homo heidelbergensis anzusehen ist und damit zu den direkten Vorfahren des modernen Menschen gezählt wird.

Gejagt oder gefunden?

Über die genauen Todesumstände des nun untersuchten Individuums können die Paläontologen um Camille Daujeard vom Muséum national d'histoire naturelle in Paris freilich nur spekulieren. Denn zumindest einige der Frakturen wurden ihm erst kurz nach dem Tod zugefügt. Der Urmensch könnte also einem aktiven Jäger zum Opfer gefallen oder aber erst nach seinem Tod aufgefunden und als Aas verzehrt worden sein.

Für die Aasfresservariante spricht, dass die Bissspuren dem Erscheinungsbild nach zu urteilen von Hyänen stammen dürften. Der Fund sei aber in jedem Fall ein bedeutendes Zeugnis, so die Autoren. "Die Steinbrüche der Casablanca-Region beleuchten nicht nur das Leben unserer entfernten Vorfahren, sondern auch, welchen Gefahren sie ausgesetzt waren", sagte Koautor Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. (red, 28.4.2016)