Der Afghane ist mit seinem kurzen Vortrag fertig, da stürmen die Flüchtlinge auf ihn los. Umkreisen ihn, ziehen an seiner Hand, tippen ihm leicht auf die Schulter. Shokat Ali Walizadeh, dunkles Haar, schwarzes Hemd, immer am Lächeln, ist für die afghanischen Flüchtlinge in diesem Asylheim in Bruck an der Leitha so etwas wie ein Rettungsanker. Endlich jemand, der sie versteht. Der erklärt, wieso das Verfahren so lange dauert, es bei Syrern schneller geht. Und wie das alles so ist, hier in Österreich.

Walizadeh, 26 Jahre, gelernter Zahntechniker, seit acht Jahren in Österreich, ist ein Beispiel dafür, dass die Integration der vielen Flüchtlinge funktionieren kann. Er tourt ehrenamtlich durchs Land, erklärt Österreich, den Westen, die Demokratie, verteilt Bücher zum Deutschlernen. Dass die Flüchtlinge ohne ihn aber oft auf verlorenem Posten stehen, legt nahe, dass es so, wie es jetzt ist, nicht funktioniert. Dabei finden sich unter den Afghanen viele Menschen, denen man sich besonders intensiv widmen müsste.

Allgemein sind sie im Vorjahr etwas untergegangen, viel war von Syrern die Rede. Dabei haben die Afghanen die meisten Asylanträge gestellt. Die Voraussetzungen für eine gelungene Integration sind bei ihnen aber schwieriger. In Afghanistan können zwei Drittel der Menschen nicht lesen und schreiben. Bei den jungen Männern ist es etwas besser, etwa einer von drei ist Analphabet. Viele sind traumatisiert, haben im Krieg und auf der Flucht Schlimmes erlebt.

Dazu kommt, dass ihre Zukunft in Österreich ungewiss ist. Jeder zweite Afghane, der durch das Asylverfahren ist, weiß nicht, ob er in ein oder zwei Jahren noch in Österreich sein wird. So lässt sich nur schwer ein Leben aufbauen. Denn nur knapp die Hälfte bekommt Asyl, gilt also als persönlich verfolgt. Der Rest darf befristet für ein Jahr dableiben oder müsste abgeschoben werden. Weil Afghanistan aber keine Menschen zurücknimmt, bleiben auf absehbare Zeit alle in Österreich.

In Afghanistan herrscht seit den Siebzigern Krieg. Millionen Menschen haben das Land verlassen.
Foto: Heribert Corn

Die meisten Afghanen in Österreich sind junge Männer. Aber lässt sich ein 16-jähriger Afghane, der noch nie in seinem Leben eine Schule von innen gesehen hat, integrieren? Der STANDARD hat bei einer Vielzahl von Experten nachgefragt. Einhellige Antwort: Ja! Aber nur mit enormem Aufwand. Und: Es ist keine Zeit zu verlieren.

In zwei bis drei Jahren bekommt man einen Analphabeten so hin, dass er den Alltag auf Deutsch bewältigen kann, sagt Ruth Wodak. Zuerst müsse man ihm seine Muttersprache beibringen, dann langsam Deutsch, so die Sprachwissenschafterin. Zu Beginn brauche es aber viele Dolmetscher, zu wenige würden derzeit eingesetzt, sagt Wodak, die im Expertenrat für Integration von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sitzt.

Thomas Lang, Sozialarbeiter bei der Caritas, schildert den klassischen Weg für einen afghanischen Mann so: Zuerst muss er Deutsch lernen. Ein Jahr braucht er dann für das Nachholen der Pflichtschule, 1,5 Jahre für eine Ausbildung. Dann geht es ab in Praktika und Projekte. "Bis die einen Job haben, kann das fünf Jahre dauern", sagt er. Davor haben sie aber oft schon zwei Jahre im Asylverfahren verbracht.

Um die Integrationsaussichten zu beurteilen, lohnt auch ein Blick in die Vergangenheit. Denn anders als die Syrer kommen schon seit Jahren Afghanen nach Österreich. So waren 2010 etwa 8000 Personen im Land gemeldet (Anfang 2016 waren es 35.000). Es gibt keine Studien, man kann sich aber mit Zahlen annähern.

Derzeit gehen in Österreich 3.800 Afghanen einer Arbeit nach, die bei der Krankenkasse gemeldet ist. Sie arbeiten in Küchen, als Kellner, im Verkauf. Etwa 3.000 sind arbeitslos, zusätzlich 2.000 in AMS-Schulungen. 2015 haben in Wien, wo etwa die Hälfte der Afghanen leben, knapp 4.300 Mindestsicherung bezogen. Für Österreich kann man also von einer doppelt so hohen Zahl ausgehen.

Wer im Asylverfahren wartet, braucht Beschäftigung: Etwa Fußball.
Foto: Kim Son Hoang

Wer länger da ist, hat also durchaus eine Chance auf einen Job. Zunächst landen aber viele im Sozialsystem. Was die Integration derzeit aber zusätzlich erschwert, ist das Image der Afghanen. Zuletzt haben ein paar schwarze Schafe die ganze Gruppe in ein schiefes Licht gerückt, wie in der Community beklagt wird.

Beim Praterstern in Wien wurde eine 21-jährige Studentin mutmaßlich von drei afghanischen Asylwerbern vergewaltigt. Es kam auch bereits zu Messerstechereien mit Tschetschenen. Aber werden Afghanen besonders oft straffällig? Etwa 2.500 afghanische Asylwerber wurden im Vorjahr einer Straftat verdächtigt, meistens sind es Raub, Körperverletzungen, die im eigenen Milieu stattfinden, und Drogendelikte.

Einer von zehn wurde also angezeigt, was etwa im Durchschnitt der Asylwerber liegt. Wegen mangelnder Perspektiven und Beschäftigung werden sie relativ häufig straffällig. 16 afghanische Asylwerber wurden im Vorjahr einer Vergewaltigung verdächtigt. Hier scheren sie deutlich aus, auch wenn sie nur einen Bruchteil der 700 Verdächtigen ausmachen (zwei Drittel sind Österreicher).

Viel zu oft sitzen Flüchtlinge nur herum, haben nichts zu tun und werden auch nicht unterstützt, sagt Shokat Ali Walizadeh, der Zahntechniker. Experten fordern Deutschkurse ab dem ersten Tag, in Wien ist das schon geplant. Es brauche Beschäftigung, Sport, Projekte, mehr Therapeuten, Firmen, die Leuten eine Chance geben. Walizadeh fährt weiter durch das Land, tut alles. Allein wird er es aber nicht schaffen. (Andreas Sator, 27.4.2016)