Flip-Flops, Sonnenbrille, Bikini oder Boardshorts. Fertig ist der Surfer. Zumindest jene Spezies, die da am Strand so lässig einen Sixpack vor- und den anderen in der Hand neben sich herträgt. Diese Gattung lässt sich zu Tausenden etwa dieser Tage beim Surf-Opening im burgenländischen Podersdorf beobachten. Zuweilen ist zumindest ein Sixpack recht gut versteckt.

Der Surferlook allein macht aber noch lange keine Sportler. Die finden sich nämlich immer dann, wenn auch nur eine Brise weht, draußen am Wasser. Für ein bisschen Posen und Schäkern ist bei Windstille noch genug Zeit. Die Kitesurfer mit ihren bunten Lenkdrachen haben am Neusiedler See, dem Surferhotspot Österreichs, den traditionellen Windsurfern den Rang abgelaufen. "Von zehn Surf-Neueinsteigern sind mittlerweile acht Kiter", erzählt Thomas Böhm, der seit 25 Jahren den Surfshop Upside Down sowie eine Surfschule betreibt. "An starken Wochenenden sind es allein in Podersdorf an die 1000 Kiter."

Kite-Surfer Stefan Spiessberger auf einem Werbesujet von Marc O' Polo.
Foto: Marc O'Polo

Mit Nummernkennzeichen

Bilder, die zeigen, wie sich hunderte Kiter gleichzeitig auf dem See vom Wind treiben lassen und ihre Sprünge vorführen, sind beeindruckend. Der Trendsport hat in der Surfermetropole auch die Lokalpolitik auf den Plan gerufen. Um sicherzustellen, dass genug Sicherheitsabstand zu den Badegästen am Ufer eingehalten wird und Fahrregeln befolgt werden, müssen die Kiter in Podersdorf seit zwei Jahren Trikots mit Nummernkennzeichen tragen. Laut Böhm wurden heuer mehr als 1500 personalisierte Nummern ausgegeben. Eine unerkannte "Fahrerflucht" bei Regelverstößen soll damit verhindert werden.

Dabei sind die ersten Kitesurfer erst knapp vor der Jahrtausendwende auf dem See aufgetaucht. Der ehemalige Windsurfer und Unternehmer Martin Bretschneider nennt das Jahr 1997. "Das weiß ich deswegen so genau, weil ich den Sport nach Österreich gebracht habe." Bretschneider surfte auf Maui, Hawaii, regelmäßig mit der US-amerikanischen Surflegende Robby Naish, die irgendwann mit einem Kite anstatt mit dem Windsurfsegel in den Meereswellen herumexperimentierte.

Erste Versuche

Einen aufblasbaren Lenkdrachen hatten sich schon 1984 die wassersportverrückten französischen Brüder Dominique und Bruno Legaignoux patentieren lassen. Sie probierten ihren Kite in den folgenden Jahren mit allem aus, was nicht niet- und nagelfest war: mit Booten, Wasserski, Skateboards, Rollerblades, Kajaks und Buggys. Zum Durchbruch verhalfen dem Sport dann Naish und dessen Surfbuddy Don Montague. Der Niederösterreicher Bretschneider packte anno 1997 gleich die ersten Kites aus Hawaii mit ein und transferierte sie auf den Neusiedler See.

Der erste Kitesurfbewerb Österreichs ging 2000 in Podersdorf mit Pionier Marc "Flash" Austin über die Bühne, dem ersten Weltmeister in dieser Sportart. 2001 gastierte erstmals die World Tour der Kitesurfer auf dem See. "Da bin ich mitgefahren", erzählt Bretschneider. Als Disziplin gab es noch "Hang Time", also das möglichst lange Verweilen mit dem Surfbrett in der Luft. Als Weltrekord gilt ein Flug von über 22 Sekunden, die Höchstweite steht bei 250 Metern. "Das Format hat sich aber aufgehört, weil die Leinen immer länger und das Ganze viel zu gefährlich wurde."

Die Kräfte der Natur

Zu Beginn hatte der Kitesurfsport überhaupt mit dem Sicherheitsaspekt zu kämpfen. Einige Anfänger wie Profis überschätzten ihre Fähigkeiten sowie die ihres Materials – und sie unterschätzten die Kräfte der Natur: Bei doppelter Windgeschwindigkeit vervierfachen sich die Kräfte im Kite. Tödliche Unfälle durch unkontrollierbar gewordene Kites waren die Folge, was die Entwicklung eines ausgereiften Safety-Systems zur Folge hatte. Heute raten etwa Experten davon ab, Systeme, die vor 2006 entwickelt wurden, zu verwenden.

Kitesurfer Stefan Spiessberger, fotografiert von Irina Gavrich in der Villa Antoinette. Seidenhemd: Louis Vuitton, Hose: Bally, Schuhe: Jil Sander.
Foto: Irina Gavrich

Das wichtigste Ausrüstungsteil eines Kitesurfers ist neben dem Board und dem Kite die Lenkstange (Bar), die mit Steuerungs- und Sicherheitsleinen am Kite befestigt ist. Bei Kontrollverlust kann der Wassersportler – anders als früher – dank Notmechanismen den Kite ganz oder teilweise vom System lösen.

Neben einer Grundkondition sowie einer Kenntnis von den Unwägbarkeiten des Windes sollten Sportinteressierte also auch Wissen über Sicherheitsmaßnahmen haben. Eine Surfschule ist praktisch unumgänglich. "Das ist – bei allem Respekt – nicht mit Radfahren oder Tennis zu vergleichen", sagt Thomas Böhm. "Du musst dich intensiv damit beschäftigen. Aber Spaß macht's von Anfang an, und es geht auch gleich was weiter. Wasserscheu sollte man halt nicht sein." Die geringe Tiefe des Neusiedler Sees sei optimal, allerdings würde diese auch ein Gefühl der Sicherheit suggerieren. "Dass du im Wasser stehen kannst, hilft dir nichts, wenn du richtig müde bist."

10.000 bis 15.000 Kiter

Von den rund 2.500 Surfschülern pro Saison am Neusiedler See würde etwa ein Drittel beim Sport hängenbleiben, sagt Böhm. Er schätzt, dass aktuell 10.000 bis 15.000 Kiter in Österreich surfen. Genauere Zahlen gibt es mangels eines Verbands nicht. "Die Austrian Kiteboarding Association ist im Winterschlaf", sagt Böhm, "weil Kitesurfen trotz Ankündigungen doch nicht olympisch wurde."

Die gestandene Sportart Windsurfen, die für die Trendsportart gestrichen werden hätte sollen, ist in Rio hingegen dabei. Einen Richtungsstreit gibt es – anders als einst bei Skifahrern und Snowboardern – bei den Wassersportlern aber nicht. "Die Surfer sind da lässiger unterwegs", sagt Bretschneider. Zumal es auch nicht nur eine Kitesurfszene gibt: Die arrivierten "Old Schooler" springen gerne hoch, sind lange in der Luft, zeigen ästhetische Moves.

Die "New Schooler" sind eher für kraftvolle Freestyletricks bekannt, die man vom Wakeboarden kennt. Einige kiten auch mit Surfboard, also ohne Schlaufen am Brett. Und dann gibt es noch die Racer, die Besten schaffen bei starkem Wind rund 100 km/h. Andererseits sind gerade sogenannte Hydrofoils im Kommen, mit denen sich schon bei sechs Knoten (rund 11 km/h) dahingleiten lässt. Bretschneider: "Da hat der Laie das Gefühl, dass gar kein Wind weht."

In puncto Lifestyle und Mode unterscheiden sich die zahlreichen Kiter, Windsurfer und Wellenreiter sowie die "Surfer" am Strand praktisch nicht. Mit Flip-Flops, Sonnenbrille, Bikini oder Boardshorts kann man nicht falsch liegen. Außer es weht Wind: Dann sind die richtigen Surfer auf dem Wasser. (David Krutzler, RONDO, 29.4.2016)

Blazer, T-Shirt, Blouson und Hose sind von Prada, die Schuhe von Emporio Armani.
Foto: Irina Gavrich

Seit wann kiten Sie?
Ich habe mit 16 angefangen. Ich bin am Traunsee aufgewachsen, das ist einer der österreichischen Topspots für Kitesurfer. Am dritten Tag habe ich bereits meinen ersten Sprung gemacht.
Was ist das Besondere am Kitesurfen?
Dass ich dabei wahnsinnig viel von der Welt sehe.

Das T-Shirt ist von Marc O'Polo Denim, Hose und Schuhe sind von Ermenegildo Zegna, die Sonnenbrille ist von Tod's.
Foto: Irina Gavrich

Haben Sie einen Lieblingsspot zum Kiten?
Perth in Westaustralien. Ich habe Jänner und Februar dort verbracht, die Bedingungen zum Kiten sind ideal. Und es ist dort immer warm.
Ihr größter sportlicher Erfolg?
Ich war zweimal Vizeeuropameister, seit etwas drei Jahren gehöre ich zu den Top Ten der Welt.

Stefan Spiessberger in einem Hemd von Dior Homme, Hose Dries Van Noten, Schuhe Giorgio Armani.
Foto: Irina Gavrich

Sie sind 26, wie lange möchten Sie Ihren Sport ausüben?
Die Ältesten im Weltcup sind derzeit um die 30, nachdem ich aber viel trainiere und mit meinem Körper sorgsam umgehe, hoffe ich, bis etwa 33 professionell kiten zu können.
Wie finanzieren Sie Ihren Sport?
Über Sponsoren und Preisgelder.

Das Blouson ist von Dries Van Noten, darunter trägt Spiessberger ein Seidenhemd von Louis Vuitton, die Hose ist von Etro.
Foto: Irina Gavrich

Gibt es einen Kiterstyle?
Cool und locker, würde ich sagen. Da gibt es keinen Unterschied zu Windsurfern oder Surfern. Anzug habe ich beim Worldcup keinen mit, wobei – stimmt nicht: Ein Neoprenanzug ist immer im Gepäck.
Und wie erging es Ihnen bei unserem Modeshoot?
Ungewohnt, aber die Mode hat mir gefallen.

Kitesurfer Stefan Spiessberger trägt einen Blazer und eine Hose von Gucci.
Foto: Irina Gavrich