"Reihen dichtmachen" war die Devise in der ÖVP am Tag nach der Wahl: keine Rücktrittsaufforderungen, keine Obmanndebatte, keine Parteiweltumsturzpläne – und demonstrative Einigkeit darin, dass es von den Schwarzen keine Wahlempfehlung für den Grünen oder den Blauen in der Stichwahl um die Hofburg geben wird. In dieser Frage scheint die ÖVP ihrem Chef Vizekanzler Reinhold Mitterlehner geschlossen zu folgen. Am Montag kamen entsprechende Aussagen aus Tirol, Vorarlberg, Oberösterreich, Salzburg und Wien.
Auch ÖVP-Wirtschaftsbundpräsident Christoph Leitl hält eine Wahlempfehlung für ein Relikt "aus grauer Vorzeit", sagte er am Montag im STANDARD-Gespräch. Mündige Bürgerinnen und Bürger bräuchten keine Bevormundung.
Der Wiener VP-Klubchef Manfred Juraczka wandte sich hingegen an Bundeskanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann, der ja angekündigt hat, persönlich Alexander Van der Bellen zu wählen, er wolle aber keine Wahlempfehlung abgeben. Das sei "intellektuell nicht sehr redlich", sagte Juraczka.
"A saftige Watschn"
Für eine interne Palastrevolution in der ÖVP gibt es derzeit zumindest keine offenen Hinweise. Leitl etwa sieht im ersten Hofburgwahlgang, der "a saftige Watschn für uns" war, wenngleich auch "nicht ganz unerwartet" kam, keinen Anlass für Personalrochaden: "Personelle Wechsel bringen derzeit überhaupt nichts", ist er überzeugt: "Die Stimmung in der Bevölkerung ist so, dass in dieser Koalition zu wenig weitergeht, da hat sich Frust aufgestaut, der jetzt zum Ausdruck gekommen ist. Die Regierung muss sich jetzt am Riemen reißen und sachlich gute Zusammenarbeit leisten", sagt Leitl.
Wo Leitl, der Großkoalitionär, der eine immer kleiner werdende "große" Koalition vor sich hat, das Gemeinsame betont, richtete sich der Chef der VP Wien, Gernot Blümel, ebenfalls gegen den roten Regierungspartner im Kanzleramt.
"Faymann-Stillstandspolitik"
"Wir alle haben das System satt, in dem sich die Politik in erster Linie mit sich selbst beschäftigt", sagte Blümel am Montag in der Nachwahlbetrachtung: Er sieht die Bundespolitik – genau genommen vor allem eine Regierungshälfte – gefordert, einen Umschwung einzuleiten. "Der gestrige Tag muss das Ende der Faymann-Stillstandspolitik zur Folge haben. Es ist jetzt eine andere Politik gefragt als die mutlose, visionslose und tatenlose Politik des Kanzlers", sagte Blümel.
Rhetorisch gestützt – zulasten von Faymann – wurde ÖVP-Chef Mitterlehner auch vom steirischen ÖVP-Landesrat Christopher Drexler, der an eher suboptimale Erfahrungen mit Obmanndemontagen in der Volkspartei erinnerte.
Über den konkreten Zustand der ÖVP nach dem Wahldebakel am Sonntag und die Hoffnung auf Rettung in letzter oder vorletzter oder gar allerletzter Minute gehen die Meinungen in der Volkspartei und bei befreundeten Institutionen hingegen etwas auseinander.
Systemkrise
Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Christoph Neumayer, interpretierte das Wahlergebnis als "letzte Chance für eine nachhaltige Veränderung", die höchst notwendig sei: "Wir sind in einer Systemkrise."
Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter drehte das Dringlichkeitsrad eine Stufe weiter. Für ihn ist "das jetzt die allerletzte Chance", der aber weder Neuwahlen noch "Köpferollen" dienlich wären. Ähnlich sieht das sein Vorarlberger Nachbar und Amtskollege Markus Wallner. Platter interpretiert das Abschneiden von ÖVP-Kandidat Andreas Khol, der mit 11,12 Prozent auf Platz fünf von sechs landete, als "deutliche Abrechnung" mit der Bundesregierung: "Die Politik des Zauderns und Zögerns wurde abgestraft".
"Herrgott, ein Fiasko!"
In Oberösterreich wurde Hilfe von oben, und sei es nur beim Erkennen der Realität, erhofft. Bundesrat Gottfried Kneifel störte sich nämlich an den offiziellen kalmierenden Reaktionen der Parteisprecher: "Da werden Medien und Meinungsforscher als Grund für das schlechte Abschneiden herangezogen. Herrgott, warum kann man nicht einfach sagen: 'Ja, das ist ein Fiasko!' Es ist ein Debakel und ein Schuss vor den Bug."
Etwas näher als nur am Bug lokalisierte Landeshauptmannstellvertreter Thomas Stelzer das Problem der ÖVP. Das Khol-Ergebnis sei "kein Warnschuss", sondern "ein Treffer. Wie weit wollen wir noch sinken?" Reden sei "Luxus. Jetzt muss es zu Änderungen kommen" – aber nicht personeller Art. (nim, krud, mika, jub, mro)