Kommt der Brexit? Wettbüros taxieren die Wahrscheinlichkeit auf nur 30 Prozent.

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Wien – Ein EU-Austritt Großbritanniens hätte nur unwesentliche Auswirkungen auf die Wirtschaftsbeziehungen mit Österreich, sagt Christian Kesberg, österreichischer Handelsdelegierter in London. Den Brexit hält er ohnehin für unwahrscheinlich.

Die österreichischen Warenexporte nach Großbritannien sind laut Außenwirtschaft Austria im vergangenen Jahr um 5,9 Prozent auf ein Allzeithoch von mehr als vier Milliarden Euro gestiegen. Großbritannien ist derzeit der achtwichtigste Zielmarkt – und wird laut Kesberg weiterhin ein wichtiger Handelspartner bleiben.

Marginale Auswirkungen

Der Handelsdelegierte geht davon aus, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU die österreichische Wirtschaft kaum beeinflussen würde. Er verweist auf eine Studie des Bertelsmann-Instituts, laut der die Auswirkungen auf EU-Mitgliedsstaaten marginal wären. Je nach Ausmaß der handelspolitischen Abschottung wäre das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner in Österreich demnach im Jahr 2030 verglichen mit einem EU-Verbleib zwischen 0,05 und 0,18 Prozent niedriger.

Für das Vereinigte Königreich sind die Prognosen schwieriger. Laut dem britischen Thinktank Oxford Economics wäre ein EU-Austritt für das Land in allen der neun im Rahmen einer Studie berechneten Szenarien mit hohen Kosten verbunden. Verglichen mit der Entwicklung bei einem Verbleib in der EU gäbe es 2030 im schlimmsten Fall einen BIP-Einbruch von 3,9 Prozent.

Finanzplatz besteht weiter

"Wenn man die Brexit-Diskussion ihrer politischen Dimension entkleidet", gibt ein Austritt Österreich wenig Anlass zu Besorgnis, so Kesberg. Zwar würde dieser "unsere Bemühungen, Geschäfte mit Großbritannien zu machen, nicht erleichtern". Von Einbrüchen könne jedoch nicht die Rede sein.

London würde Kesbergs Einschätzung nach seine internationale Bedeutung als Finanzplatz nicht einbüßen. Das dort gesammelte Know-how könne nirgends so schnell ersetzt werden. Zum Vergleich: Der Finanz- und Versicherungssektor in Frankfurt ist nur etwa ein Zehntel so groß. Es würde daher Jahre dauern, bis Frankfurt in der Lage wäre, Funktionen die London derzeit ausführt, zu übernehmen, glaubt der Handelsdelegierte.

EU-Integrationsschub durch Brexit

Politisch stellt ein Austritt jedoch sehr wohl eine Gefahr dar: "Niemand kann vorhersehen, was passiert, wenn die EU an einem Brexit zugrunde geht." Als "überzeugter Europäer" geht Kesberg nicht davon aus, dass die Union zerfällt. Gleichzeitig räumt er ein, dass diese sich derzeit in einer "Sinnkrise" befinde und ein Brexit eine zusätzliche Schwächung bedeuten könnte. Mitgliedsstaaten, die der europäischen Politik kritisch gegenüberstehen, könnten es den Briten gleichtun, befürchtet Kesberg. Langfristig geht er dennoch davon aus, dass die EU im Fall eines Brexit einen neuen "Integrationsschub" erleben würde.

Genau diesen würden viele Briten nicht mitmachen wollen, ist Kesberg überzeugt: Mit den Bestrebungen, sich zu einer Fiskal- und Transferunion bis hin zu einer politischen Gemeinschaft zu entwickeln, hätten sie "absolut nichts am Hut". Großbritannien sei der EU aus rein ökonomischen Gründen beigetreten, den 64 Millionen Einwohnern fehle "das emotionale Europaerlebnis", das die EU-Bürger auf dem Festland nicht zuletzt durch die offenen Grenzen stärker erfahren hätten.

Wettbüros optimistisch

Wirtschaftliche Überlegungen werden auch das Referendum am 23. Juni entscheiden, sagt Kesberg. Dabei spiele den EU-Befürwortern in die Hände, dass bisher "niemand mit Glaubwürdigkeit" ökonomische Modellrechnungen vorgelegt habe, wonach ein Austritt Vorteile brächte. Das werde viele der rund 18 Prozent überzeugen, die derzeit noch unentschlossen sind.

Er ist daher optimistisch, dass es eine Mehrheit für den Verbleib in der Union geben wird. Nicht zuletzt, weil die Wettbüros die Wahrscheinlichkeit eines Brexit auf nur etwa 30 Prozent taxieren – und damit deutlich niedriger als aktuelle Umfragen, die mit einem knappen Rennen rechnen.

Der Handelsdelegierte wettet übrigens selbst mit: "Gegen meine Überzeugung und auf den Austritt, andernfalls kann man nichts gewinnen", scherzt er. Trotz seines Wetteinsatzes von 15 Pfund versichert Kesberg, er würde sich "sehr freuen" zu verlieren. (Elena Pramesberger, 26.4.2016)